Die Chronik von Tornor 03 - Die Frau aus dem Norden
nich.«
»Dann mach sie. Ivor-no-Akia hat das Kommando der Tageswache, er wird dir zeigen, wo du sie abgeben sollst, für den Fall, daß ich nicht erreichbar bin.« Das Lehrlingsmädchen hinter ihnen pochte zimperlich auf dem schlagstellenübersäten Brett herum.
Paxe ging wieder in den Med-Bezirk zurück. Sie nahm den gleichen Weg, ihre Füße trugen sie automatisch. Als sie eine Straße weit vom Tanjo entfernt war, entdeckte sie ein ihr wohlbekanntes kleines Gesicht hinter sich. Sie schlug einen Haken zurück und erwischte den zerlumpten kleinen Jungen, als der durch die Gasse kam und in allen Türeingängen nach ihr spähte. Sie hob ihn hoch und schüttelte ihn in der Luft, bis er vor Furcht zu zittern begann. »Du wirst Ron Ismenin sagen«, preßte sie durch zusammengebissene Zähne hervor, »wenn ich dich noch einmal hinter mir herschleichen sehe, dann werde ich dich in den Fluß schmeißen. Und sag ihm, das gilt für jeden anderen, den er versucht, mir auf die Fersen zu setzen!« Das Kind bebte in ihrem Griff, und sie funkelte es finster an. Der Zorn war diesmal nur halb gespielt. Ihr Schädel dröhnte. Sie ließ den Jungen wie einen kaputten Schuh auf die Straße fallen, und als sie sich dann umdrehte, um zu prüfen, ob er ihrem Befehl gehorchte, sah sie keine Spur mehr von ihm. Sie schritt weiter auf ihrem Weg den Hügel hinauf; sie schämte sich ihrer Unbeherrschtheit ein wenig.
Jenith-no-Terézia war eine kleine bräunliche Frau. Paxe kannte sie schon seit Jahren. In den Jahren, in denen Paxe als Wache auf den Weinfeldern diente, hatte Jenith dort auf dem Gut gearbeitet, und sie war etwa zur gleichen Zeit wie Paxe in die Stadt gezogen. Sie war jetzt Aufseherin in einem der Med-Lagerhäuser. Als Paxe sie aufspürte, inspizierte sie gerade ein leckendes Weinfaß und drohte dem Faßbinder, der es gefertigt hatte, Mord und Totschlag an. »Nun schau sich einer das bloß an!« schrie sie und wies auf eine rote Pfütze unter dem Faß. »Irgendein Hurensohn von einem räudigen Wildesel hat grünes Holz dafür verwendet, und es ist geschrumpft, bevor wir den Wein eingefüllt haben! Verdammte Scheiße! Die Winterdämonen mögen ihn an den Eiern davonschleppen, diesen Mistkerl, der das gemacht hat!« Sie grinste Paxe an. »Hofmeisterin! Was treibt dich denn zu uns? Durst?«
»Nein. Kann jemand für dich mal hier aufpassen, während du für einen Moment mit mir rauskommst?«
»Sicher.« Jenith ging ihren Assistenten suchen, fand ihn und erteilte ihm ein paar kurze Anweisungen. »Gehn wir! Ich bin so aufgeregt wie eine Jungfrau bei ihrer ersten Orgie!«
Paxe führte sie zum »Becher«. Sie lachte den ganzen Weg über. Die Leute in der Tavernenküche erkannten sie beide wieder. Sie brachten Paxe Wein und lehnten ihre Bezahlung ab. Jenith trank Wasser.
»Was, du trinkst nicht?« fragte Paxe.
»Chea! Ich brauche es gar nicht! Die Dämpfe in dem Schuppen reichen aus, daß ich am Abend nur noch heimwärtsschwanke. Aber sag mir, wie geht's dir? Ich seh dich einfach nicht oft genug, du emsiges Bienchen. Sag, arbeitet Kaleb noch immer für den Med-Hof? Ein wundervoller Mann!« Sie lächelte. »Was treibt dein Junge?«
»In den Weinfeldern«, sagte Paxe und nippte an ihrem Wein. »Er arbeitet.«
»Wunderbar! Meine Töchter sind auch draußen. Ich hab' ihnen gesagt, sie dürfen erst wieder zurück in die Stadt, wenn sie genug Geld haben und ein Jahr lang nichts von mir brauchen.«
Jeniths Töchter waren etwa zur gleichen Zeit geboren wie die Paxes, und Paxe erinnerte sich gut an die vier Kleinen, die miteinander im Hof des Gutshauses gespielt hatten. »Geht es ihnen gut?«
»Recht gut«, sagte Jenith. »Aber was kann ich für dich tun?«
»Nicht für mich«, sagte Paxe. »Doch für Arré Med. Jen, kannst du noch immer unsichtbar werden, hier in der Stadt?«
Jenith grinste. »Ich hab's seit einiger Zeit nicht mehr probiert. Aber ich denke doch, daß ich es könnte.« Sie war eine Asech und war während der ersten zwölf Jahre ihres Lebens in der Wüste aufgewachsen. »Warum?«
»Arré Med hat Verwendung für dein Talent. Sie bezahlt dir das Doppelte von dem, was du jetzt verdienst, damit du jemand überallhin durch die Stadt verfolgst und ihr berichtest, wohin er immer geht.«
»Für doppelte Bezahlung ziehe ich mich sogar nackig aus und tanze in einer Schlangengrube«, sagte Jenith. »Wen beschatte ich?«
»Kim Batto.«
Jenith schob die Lippen vor. Doch sie fragte nicht nach dem Grund für ihren Auftrag. Sie
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