Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
setzte sich die Brille alarmiert wieder auf und stürzte zu einer der Türen, um in den Gang dahinter zu eilen.
»Wartet, Hansen! Seid vorsichtig!«, rief der Däumling. Doch der schmächtige Mann ließ sich nicht aufhalten. Kai hatte Mühe, ihm zu folgen.
Sie erreichten ein schlicht eingerichtetes Speisezimmer mit weiß gekalkten Wänden und einer Fensterfront auf der Gartenseite. In den vier Ecken des Raums standen marmorne Sockel mit bronzenen Büsten gewichtig dreinschauender Männer und Frauen. »Kai, schließ die Fenster!«
Der Junge kam der Aufforderung des Magisters nach und zog lange Vorhänge vor die Fenster. Gerade war er dabei, die Scheiben vor der schmalen Gartentür zu verhängen, als er glaubte, außerhalb, nahe einem kleinen Teich, einen Schatten zu vernehmen. »Magister!«, rief er. »Da draußen ist etwas!«
»Beiseite, Junge!« Der Däumlingszauberer hielt sich nicht mit weiteren Erklärungen auf, sondern erzeugte eine magische Druckwelle, die Tür und Scheiben splitternd aus dem Rahmen fliegen ließ. Kai keuchte auf. Er konnte von Glück sagen, dass er der Aufforderung des Däumlings sofort nachgekommen war.
Der schwebte bereits über einem steinernen Blumenkübel auf der Terrasse und suchte den Garten ab. Kai eilte hinzu und hielt die Irrlichtlaterne empor.
»Nichts!«, murmelte der Däumling.
Kai sah sich betreten zu der zersplitterten Tür um. »Tut mir Leid, ich war mir wirklich sicher, dass ...«
»Schon gut«, meinte der Zauberer und schwebte zu dem Stadtkämmerer zurück, der sie mit bangem Blick erwartete.
»Ich bezahle den Schaden natürlich«, erklärte Eulertin.
»Nein, nicht nötig«, meinte Hansen. »Das geht schon in Ordnung.«
»Junge, zieh den Vorhang vor die Tür!« Kai beendete hastig sein Werk. Der Stadtkämmerer trat eilends an die erste der bronzenen Büsten heran. Es ertönte ein Kratzen, als er das Gesicht der Plastik so drehte, dass es zur Stirnseite des Zimmers zeigte. Mit den anderen drei verfuhr er ebenso. Erstaunt sah Kai mit an, wie sich die Augen der Büsten schlossen und die gegenüberliegende Wand Wellen warf. Es war, als habe man einen Stein in einen See geworfen.
Die Wand war lediglich eine Illusion!
Eine kahle Ziegelmauer schälte sich aus dem Zwielicht. In der Mitte befand sich ein metallenes Monstrum von Eisentür, die mit Kurbeln und Zahnrädern versehen war. »Solide Zwergenarbeit!«, erklärte Hansen mit knappem Seitenblick auf Kai. Der Stadtkämmerer trat an die Tür heran, stellte die Zahnräder ein und drehte an der Kurbel. Mit einem saugenden Geräusch schwang die Panzertür auf und offenbarte einen Schrank, in dem Papiere, Geldbeutel und Schatullen gestapelt waren. Unter Eulertins wachsamem Blick griff der Ratsherr zu einer reich mit Rosen verzierten Kassette aus Silber. Vorsichtig stellte er sie auf den Esstisch und öffnete sie. Ein feuriger Schein stach in Kais Augen. Im Innern der Schatulle lag ein brennender Salamander. Das Geschöpf bewegte kurz seinen Kopf.
Kai hatte selten zuvor ein Wesen von solcher Schönheit erblickt. »Was ist das?«, fragte er erstaunt.
»Ein Schlüssel!«, erklärte Hansen knapp und sperrte die Kassette zu, um sie wieder in den Tresor zu stellen.
»Ein was ?« Kai wandte sich Rat suchend zu dem Magister um, der nun ebenfalls einen etwas entspannteren Eindruck machte.
»Einer jener vier Schlüssel«, erklärte der Däumling, »mit denen Berchtis' Leuchtfeuer verschlossen ist.«
Endlich begriff Kai, was bei dem Einbruch tatsächlich auf dem Spiel gestanden hatte. Und er verstand nun auch, warum Eulertin dieses Haus mit magischen Wächtern ausgestattet hatte. Hatte der Magister nicht behauptet, selbst einen dieser Schlüssel zu hüten ?
»Wer bewacht die anderen Salamander?«, fragte Kai.
»Das ist geheim«, sagte Eulertin und sah Kai in die Augen. »Darüber darf ich wirklich kein Wort verlieren. Nur die Schlüsselhüter wissen davon, und das soll auch so bleiben. Die vier Salamander sind in ihrer Art übrigens verschieden. Jener, den ich hüte, besteht aus Luft. Die anderen beiden ziehen ihre Kraft aus den Elementen Stein und Wasser.« »Ihr habt mir einen gehörigen Schreck eingejagt, Magister«, meldete sich der Stadtkämmerer zu Wort. Er hatte die Panzertür aus Zwergenmetall inzwischen verschlossen und war nun dabei, die vier Büsten wieder auf die Raummitte auszurichten. »Den Raub der Irrlichter verschmerze ich, aber der Raub des Schlüssels wäre in der Tat einer Katastrophe gleichgekommen.«
Die
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