Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
wo.«
Elbkrieg
Ein blasser Mond versuchte durch die Wolken zu brechen und es hatte angefangen zu nieseln, als Kai und Fi durch die Nacht der Elbmündung entgegenjagten. Sie krallten sich beide in Kriwas Gefieder fest, während die Möwe mit machtvollen Flügelschlägen auf das trügerische Silberlicht am Horizont zuhielt.
Diesmal war Kai gezwungen, ohne den Spinnentrank auszukommen. Er war schon froh gewesen, dass er den Verkleinerungstrank Magister Eulertins noch an seinem Platz gefunden hatte. Im Moment ähnelte er eher einem nassen Sack, den jemand auf den Rücken Kriwas geworfen hatte, als einem erfahrenen Luftreiter. Beständig lief er Gefahr, vom Flugwind in die Tiefe gerissen zu werden. Zweimal wäre dies fast geschehen, doch stets hatte ihn Fi vor dem Absturz bewahrt. Sie saß direkt hinter ihm und bewältigte den Ritt auf der Möwe mit ebensolcher Leichtigkeit, wie sie ihm damals in Lychtermoor davongaloppiert war.
Nach und nach wurde es heller. Kai hob vorsichtig den Kopf und bemerkte, dass sie längst vom Schein des Irrlichtfeuers angestrahlt wurden. Vor und unter ihnen erstreckte sich die breite, im Leuchtfeuer glitzernde Elbmündung. Und sie hielten direkt auf den rosenförmigen Leuchtturm zu.
»Krähen!«, krächzte die Möwe plötzlich. »Viele!«
Obwohl ihm der Wind messerscharf ins Gesicht schnitt, erkannte Kai die Gefahr sofort. Vom Grund der Leuchtturminsel stob ein ganzer Schwärm der düsteren Aasfresser auf. Gleich einem lebendigen Wolkenwirbel rauschten die Vögel um das schlanke Gebäude herum und Kai ahnte, wie Finsterkrähe und Eisenhand mit den Funkenschmetterlingen fertig geworden waren. Diese Krähen schienen zu spüren, dass sie sich ihnen in feindlicher Absicht näherten.
Fi hielt bereits ihren Bogen gespannt und Kai fragte sich einmal mehr, wie sie es fertig brachte, sich nur mit den Beinen am Rücken der Möwe festzuklammern. »Siehst du Dystariel irgendwo?«, rief er Kriwa zu.
»Nein«, kreischte sie.
Fi stieß einen Fluch aus. »Wäre sie hier, hätte sie längst die Aufmerksamkeit der Krähen auf sich gezogen. Ich wusste, dass wir dieser elenden Gargyle nicht trauen können.« »Na gut. Es hilft nichts«, stöhnte Kai. »Wir müssen da durch, Kriwa. Irgendwie!« »Allein werden wir es nicht schaffen. Wartet!« Die Möwe kippte seitlich ab und jagte dicht über dem Wasser hinweg in Richtung Elbufer. Kai klammerte sich an ihr Gefieder. Unvermutet stieß Kriwa einige lange, spitze Schreie aus. Es dauerte nicht lange, und ihre Rufe wurden mit ähnlich klingenden Lauten beantwortet.
Kriwa schraubte sich jenseits der Uferböschung wieder in die Höhe, um sich von einer Böe majestätisch durch die Lüfte tragen zu lassen. Silbrige Flecken zeichneten sich nun überall am Nachthimmel ab. Möwen. Zwei. Fünf. Acht. Und es wurden immer mehr. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich um Kriwa ein Schwärm aus fünfzig oder sechzig Vögeln versammelt, deren Schreie kampflustig durch die Nacht hallten.
Kai kam ein Verdacht. In den Büchern des Magisters hatte er davon gelesen, dass über jede Tierart ein König oder eine Königin geboten. War Kriwa vielleicht keine gewöhnliche Möwe ? Angeblich waren diese Tierkönige zu Beginn aller Zeiten als Erste ihrer Art aus dem unendlichen Licht getreten. In diesem Fall musste Eulertins Vertraute uralt sein.
»Haltet euch fest!«, krächzte die Möwe. Kriwa stieß einen zornigen Schrei aus, der von den Möwen augenblicklich beantwortet wurde. Der Schwärm formierte sich zu einem spitzen Keil, der in rasender Geschwindigkeit auf das Leuchtfeuer zuschoss. Kai ächzte. Ihnen stand noch immer eine ebenso große Anzahl Krähen gegenüber, die sich vor dem Irrlichtfeuer zu einer dunklen Wolke zusammenballten. Kai presste sich dicht auf Kriwas Rücken und im nächsten Moment erstickte das Säuseln des Flugwindes im Schreien, Prasseln und Flattern ungezählter Vogelleiber, die in der Luft zusammenprallten und wild aufeinander einhackten.
Weiße und schwarze Federn wirbelten um sie herum und die Nacht war von ohrenbetäubendem Kampfeslärm erfüllt. Wie gern hätte Kai Kriwa und den ihren beigestanden, doch im Moment konnte er an nichts anderes denken, als sich festzuhalten. Die Möwe beschrieb ein waghalsiges Manöver, öffnete ihre Krallen und riss einer Krähe im Vorbeiflug das Gefieder auf. Ihre Gegnerin stürzte ab. Doch schon stießen über ihnen zwei neue Angreifer herab. Fis Bogen surrte und das laute Krächzen der vordersten Krähe erstarb.
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