Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
neben dem aufrecht stehenden Sarg waren mehrere Zauberbücher herausgefallen und auch einige andere Objekte, die sich hier oben befanden, schienen verschoben und verstellt worden zu sein. Weiter hinten im Dachstuhl waren schnaubende Geräusche zu hören. Im goldenen Lichtschein der Glaskugel sahen sie Dystariel, die unwirsch eine der Truhen aufriss und vernehmlich darin schnüffelte. Die Tatsache, dass nicht sofort die Tierwächter erschienen, zeigte Kai, wie viel Vertrauen der Magister Dystariel entgegenbrachte. Sie schien sich hier oben ungehindert bewegen zu dürfen. Kai fragte sich zum wiederholten Mal, welches Geheimnis sie wohl umgab. Ob er ihr doch Unrecht tat?
Andererseits schien Dystariel daran beteiligt gewesen zu sein, Fis Volk großes Leid zuzufügen. Unwillkürlich wandte sich Kai seiner Begleiterin zu. Was war mit Fi und den anderen Elfen Albions nach Morgoyas Machtübernahme passiert? »Das bringt nichts«, flüsterte Fi, die Dystariel kritisch bei ihrer Suche zuschaute. »Vielleicht probierst du es noch einmal mit der Wünschelrute?«
Kai nickte.
Er legte die Wünschelrute abermals auf seine Fingerspitze und aktivierte sie. Sie drehte sich zu der Wand neben dem Erker. Aber da war nichts. Da hing nur dieses seltsame Ölgemälde, das sich ständig veränderte.
Argwöhnisch näherte er sich dem Bild. Es zeigte noch immer ein ausgetrocknetes Stück Land, über dem heiß die Sonne flirrte. Im Hintergrund waren verbrannte Bäume und geschwärzte Ruinen zu sehen, durch die ein staubiger Wind brauste. Im Grunde war alles genau wie vor wenigen Tagen. Alles, bis auf...
»Bei allen Moorgeistern! Kommt her, ich habe Magister Eulertin gefunden. Da!« Kai deutete auf eine Gestalt im Vordergrund des Bildes. Sie war neben einem der geborstenen Bäume zusammengebrochen und winkte kraftlos mit den Armen. Ohne Zweifel, das war der Däumlingszauberer! Er war in dem Gemälde eingesperrt. »Magister! Magister!«, rief Kai. Doch der Zauberer schien ihn nicht hören zu können. Zumindest reagierte er nicht auf seine Rufe.
Dystariel und Fi traten dicht an Kai heran und schnappten beide entsetzt nach Luft. »Los, befreie ihn!«, fauchte die Gargyle.
»Verdammt noch mal, wie denn?«, schrie Kai und wirbelte zornig herum. »Ich bin nicht der Zauberer. Ich bin bloß sein Schüler.«
Die Gargyle beugte sich zu ihm herunter und tippte ihm mit einer ihrer Krallen ungeduldig gegen die Brust. »Dann bemühe dich gefälligst!«
»Hört auf«, meinte Fi. »Seht doch. Magister Eulertin hat neben sich etwas in den Sand geschrieben. Es ist nur schwach zu erkennen, aber ich glaube es lautet... >Kugel »Kugel?«, röhrte Dystariel. »Was soll uns das sagen?«
Fi zuckte hilflos mit den Achseln, während ihre schlanken Finger unglücklich über die raue Leinwand glitten.
Abermals winkte Eulertin. Es wirkte verzweifelt. Der Magister schien sich seiner verzwickten Lage durchaus bewusst zu sein, doch ganz offensichtlich konnte er seine Freunde nicht sehen, da er ziellos in alle Richtungen blickte.
»Im ganzen Haus gibt es nur eine Kugel, die Magister Eulertin gemeint haben könnte«, sagte Kai.
»Was meinst du damit?«, fauchte Dystariel.
Kai stürmte an der Gargyle vorbei zum Schornstein im hinteren Teil des Dachstuhls, wo die Zauberkugel aus dem ehemaligen Besitz von Morbus Finsterkrähe stand. Noch immer war sie von einem Tuch verhüllt. Ungeduldig zog Kai den Stoff herunter und starrte die trägen Schlieren an, die in dem Bergauge wallten.
»Werden die Tierwächter wieder erscheinen, wenn ich die Kugel berühre?«, wollte er wissen.
»Nein«, zischte die Gargyle. »Denn ich bin hier. Du darfst die Zauberkugel allerdings nicht bewegen.«
»Das habe ich nicht vor«, erklärte Kai und atmete tief ein. Was auch immer für ein Bann auf diesem Artefakt lag, er hatte ihn schon einmal durchbrochen.
Kai umschloss die Kugel fest. Jäh wallte der Nebel in ihrem Innern auf und abermals stachen Flammen aus seinen Händen, die schlagartig über seine Arme züngelten. Fi schrie erschrocken auf.
Kai verdrängte das brennende Gefühl auf seiner Haut und konzentrierte sich auf Königin Berchtis' Leuchtfeuer. Zugleich war ihm, als hätten die Flammen in ihm nach etwas gesucht und es auch gefunden. Eine Erklärung dafür hatte er immer noch nicht. Sogleich erstarb die wabernde Glut auf
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