Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
schwankte er ansatzlos hin und her. Kai beobachtete ihn dabei, wie er innerhalb kürzester Zeit den Inhalt beider Flaschen in sich hineinschüttete.
»Mast und Schotbruch«, lallte sein Retter. Ohne jede Vorwarnung kippte er hintenüber und begann laut zu schnarchen. Die Umsitzenden reagierten mit verhaltenem Gelächter.
»Du bist also der Zauberlehrling vom kleinen Eulertin?«, wollte einer der Schmuggler wissen. Das Gesicht des Mannes war aschgrau und von der Stirn bis zur Wange von einer mondförmigen Narbe entstellt. Die anderen sahen gespannt auf. Kai schluckte schnell seinen Bissen hinunter und nickte.
»Wird Zeit, dass ihr Zauberer endlich was gegen Morgoya unternehmt«, forderte der Mann mit der Narbe.
»Ja, ist längst überfällig«, bekräftigte eine der Frauen und spuckte ins Feuer. »Nur weil ihr die Feenkönigin an eurer Seite wähnt, solltet ihr nicht glauben, dass Morgoya untätig bleibt.«
Kai sah verwundert auf. Die Feenkönigin?
»Oh nein«, fuhr die Frau mit bitterer Stimme fort. »Morgoya hockt drüben auf der Insel wie eine Spinne im Netz und wartet nur darauf, auch diesen Teil der Welt zu unterjochen. Spätestens dann werdet ihr begreifen, was es bedeutet, in einem Reich der Finsternis zu leben. Aber dann ist es zu spät.«
»Verzeiht mir«, antwortete Kai. »Ich bin erst vor ein paar Tagen in Hammaburg eingetroffen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht viel über die Nebelkönigin.« »Wir nehmen diesen Namen nicht in den Mund, Junge!«, fauchte die Frau. »Für uns gibt es nur einen König. Und das war Drachenherz!«
»Entschuldigt«, sagte Kai hastig. »Wie ... wie ist es denn drüben in Albion?« Die Männer und Frauen blickten ihn starr an und die unangenehme Stille, die sich über den Platz senkte, wurde nur hin und wieder vom Knacken der Scheite unterbrochen. »Drüben herrschen Tod und Verdammnis«, flüsterte der Narbengesichtige. »Seit die dunkle Zauberin herrscht, liegt das Land unter einer trostlosen Wolkendecke begraben. Es ist überall das gleiche Bild: Nebel, Regen und Wolken. Am Tage ist es trübe und bei Nacht so finster wie ... wie ...«
»Wie in einer Gruft!«, ergänzte die Frau. »Es gibt drüben Kinder, die noch nie in ihrem Leben die Sonne gesehen haben. Ihr Licht ist nicht mehr als ein trüber Fleck im ewigen Himmelsgrau. Ohne Kraft. Ohne Feuer. Die Ernten verfaulen. Vieh und Menschen werden über die Jahre verrückt. Täglich sterben hunderte an Hunger und Entbehrung.« »Oder durch die Willkür von Morgoyas Horden«, fuhr der Narbengesichtige zornig fort. »Das Wenige, was unsere Leute drüben noch besitzen, das pressen sie ihnen mit Gewalt ab. Niemand wagt es, ihnen zu widersprechen. Sie entführen Männer, Frauen und sogar Kinder. Was mit ihnen geschieht, das weiß niemand. Und selbst die alten Adelsgeschlechter Albions ...« »Du meinst jene Verräter, die mit Morgoya gemeinsame Sache machen!«, zischte die Frau erbost.
»Ja, natürlich ... Wer noch von Drachenherz mit Titeln und Ämtern belehnt wurde, den hat die dunkle Zauberin längst ausgelöscht. Aber selbst jene Adligen, die sich mit ihr verbündet haben, müssen ihr die erstgeborenen Kinder als Geiseln überlassen. Du kannst dir ja vorstellen, Junge, was mit ihnen passiert, sollten ihre Eltern eines Tages doch auf den Gedanken kommen, sich gegen diese Hexe zu verschwören. Sie überbieten sich daher mit Grausamkeiten, damit sie nur ja nicht ihren Argwohn erregen.«
»Pah. Ich habe kein Mitleid mit diesen Elenden«, presste ein Dritter mit rauer Stimme hervor. Seine langen roten Haare hingen über eine schwarze Augenklappe. »Sollen diese Speichellecker doch allesamt verrecken.« Er schnaubte ungehalten. »Wen kümmert es schon, was mit ihnen passiert. Die sind nicht das Schlimmste, was drüben auf einen wartet. Oh nein. Am Furcht erregendsten sind Morgoyas Kreaturen, auf die du jetzt auch am helllichten Tag überall in Albion stößt. Ich war früher Bauer. Unser Dorf lag eine Tagesreise von der Königsstadt Alba entfernt, der größten Stadt Albions. Kennst du Alba?«
Kai schüttelte den Kopf und der Mann zuckte bekümmert mit den Achseln. »Alba liegt an der Mündung der Teus und wurde vor vielen Generationen vom Königsgeschlecht der Drachenherz' begründet. Einst war sie der ganze Stolz Albions. Sie war die schönste Stadt der bekannten Welt. Heute ist Alba ebenfalls in Morgoyas Hand. Wie dem auch sei. Tag und Nacht wurde unser Dorf von Schattenkreaturen heimgesucht. Vampire, Ghule,
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