Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
Riesenfledermäuse, gewaltige Spinnen ... Es war fürchterlich. Niemand schützte uns vor ihnen. Wir wandten uns in unserer Not daher an einen von Morgoyas Statthaltern. Wir hätten das besser nicht getan. Zur Strafe ließ er jeden Dritten von uns hinrichten. Zwei Nächte darauf kamen seine Schergen noch mal ins Dorf und holten die Toten aus der Friedhofserde.« »Was?« Kai lief eine Gänsehaut über den Rücken. Er dachte augenblicklich an Mort Eisenhand und seine Piraten. War es das, wofür Morgoya die Verstorbenen brauchte ? »Ja, von ähnlichen Geschehnissen habe auch ich gehört«, schnaubte der Narbengesichtige. »Allerdings weiter drüben im Westen.«
»Es heißt«, fuhr jener mit der Augenklappe fort, »dass Morgoya die Toten mit ihren dunklen Kräften belebt und sie in ihre Armeen einreiht.«
»Vergiss die Ratten nicht!«, schnaubte die Frau. »Diese widerlichen Nager sind die Augen und Ohren der Finsteren. Einer Ratte Leid zuzufügen, wird in Albion mit der Todesstrafe geahndet.«
»Was wird in Albion denn nicht mit dem Tod bestraft?«, fauchte der Narbengesichtige voller Bitternis.
Kai legte die Stirn in Falten. Er erinnerte sich nur zu gut an die Rattenschar, die über Lychtermoor hergefallen war.
»Und Morgoya?«, wollte er wissen. »Weiß man, wo sie sich versteckt hält?« »Versteckt hält?«, wiederholte die Frau ungläubig. »Morgoya hat es nicht nötig sich zu verstecken. Es heißt, dass sie sich bevorzugt im Norden Albions aufhält. In einer mächtigen Wolkenfestung über den Hochländern der Insel.«
»Eine Wolkenfestung?«, stammelte Kai entgeistert.
»Oh ja«, antwortete der Narbengesichtige. »Eine Wolkenfestung. Das hat man sich auch bei uns erzählt.«
Bedrücktes Schweigen senkte sich herab und die Männer und Frauen sannen ihren trüben Gedanken nach. Kai war erst in diesem Augenblick bewusst geworden, wie machtvoll die Nebelkönigin war.
»Lasst uns aufhören, Freunde«, polterte der Mann mit der Augenklappe plötzlich und warf einen neuen Scheit ins Feuer. »Das bringt doch alles nichts. Wir stumpfen noch genauso ab, wie unsere Brüder und Schwestern, denen die Flucht nicht vergönnt war. Lasst uns an etwas anderes denken. Sag mal, Bürschchen«, grinste er Kai nun an und deutete auf dessen Gürtel. »Trägst du diese Flöte dort nur zum Spaß oder kannst du uns auch was darauf vorspielen?«
Kai sah auf und lächelte schmal. »Was wollt ihr denn hören?«
»Egal. Irgendwas, was uns an die Heimat erinnert.«
An Albion? Er kannte die Insel doch überhaupt nicht.
Kai führte die Flöte zögernd an seine Lippen und überlegte. Schließlich entschied er sich für das Lied, das er sich damals zur Irrlichtjagd ausgedacht hatte. Es schien ihm irgendwie passend. Kurz darauf erfüllte eine melancholische Melodie den Lagerplatz, der die Männer und Frauen andächtig lauschten. Kai spielte noch zwei weitere traurige Weisen und entschied sich dann für ein fröhliches Stück, das die Anwesenden wieder aus den trüben Gedanken riss. Vor ihm im Feuer knallte es und er sah verblüfft den Funken nach, die hoch zum Himmel stoben.
Eigenartig. Die Flammen schienen sich im Spiel seiner Flöte sachte hin und her zu wiegen. Kai musste an den Kampf in der Gasse denken, bei dem er es erst durch den Griff zu seiner Flöte geschafft hatte, das verzehrende Brennen in seinem Körper zu ersticken.
Inzwischen hatten auch andere Bewohner des Viertels den Weg zu ihnen gefunden. Sie trugen ebenfalls Musikinstrumente bei sich und wenig später erfüllte der muntere Klang von Fideln und Trommeln den Platz. Kai steckte seine Flöte weg und bemerkte, dass er noch immer Fis Messer bei sich trug. Er sollte es ihm zurückgeben, bevor er morgen in die Windmachergasse zurückkehrte.
»Sagt, wisst Ihr, wo ich Fi finde?«, fragte er einen Greis, der sich mitsamt seinem Krückstock neben ihn gesetzt hatte.
»Du meinst unser Elfchen?«, krächzte der Alte. »Soweit ich weiß, treibt er sich meist dort oben im verwilderten Garten herum.«
Er deutete mit dem Krückstock auf einen mit Bäumen bewachsenen Hügel, der sich schwach hinter all den Zelten und Buden abzeichnete. »Aber sei vorsichtig, es heißt, dort gehe es nicht ganz geheuer zu. Elfenmagie, du verstehst?« Verschwörerisch zwinkerte ihm der Greis zu. »Unser Fi liebt die Einsamkeit.«
Kai dankte dem Alten und erhob sich.
Sein Weg führte ihn an einer Vielzahl weiterer Zelte und Notunterkünfte vorbei. Einmal wurde er von einer Wache angesprochen, doch
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