Die Chroniken der Nebelkriege 1: Das Unendliche Licht
niedrige Ziegelmauer. Schwer krachte er auf modernde Holzkisten, sprang wieder auf und stürmte weiter. Eisenhand war dicht hinter ihm. Ein schriller, metallischer Laut war zu hören und die Ziegelwand brach berstend auseinander.
»Komm zum alten Mort!«, hallte das kehlige Gebrüll seines Verfolgers über den Hinterhof. »Du bist mein. Du weißt es nur noch nicht!«
Voller Panik stürzte Kai auf einen der Kanäle zu. Doch statt einer Brücke entdeckte er am Ende seines Weges nur schlüpfrige Stufen, die zu einem kleinen Boot hinunterführten. Da er nicht schwimmen konnte, sprang er kurzerhand in das schwankende Gefährt und säbelte verzweifelt mit Fis Messer an der Vertäuung herum. Kai kam gerade noch dazu, das Boot mit der Ruderstange von der niedrigen Kanalmauer abzustoßen, als Mort Eisenhand auch schon heran war. Seine finstere Gestalt ragte nur wenige Schritte von ihm entfernt zwischen den Gebäuden auf und er deutete mit dem Arm aus Mondeisen drohend auf ihn.
»Dein Fluchtversuch ist unsinnig, Kleiner«, höhnte der Finsterling und enthüllte beim Sprechen faulige Zahnstummel. Eisenhand starrte ihn mit Augen an, in denen ein schreckliches Feuer glomm. Kai hatte Todesangst. Doch noch immer wagte er es nicht, seine Kräfte anzurufen. Sie lauerten nur auf eine Gelegenheit wieder hervorzubrechen. Kai fühlte, dass sie ihn diesmal überwältigen würden.
»Komm zurück«, forderte ihn der Pirat auf und zeigte ein fauliges Lächeln. »Hat doch keinen Sinn.«
Auf der anderen Kanalseite fiepte es. Ein Meer von Ratten walzte heran und stürzte sich ins Wasser. Kai schrie erschrocken auf und hatte Mühe, auf dem schwankenden Boot das Gleichgewicht zu bewahren. Abwehrend hob er das Ruder. Am unteren Kanalende war bereits jene Barke zu sehen, mit der Mort Eisenhand zum unheimlichen Markt gekommen war. Die beiden Skelette am Heck steuerten zügig auf ihn zu. »Einen wie dich könnten wir sogar lebend brauchen«, lockte Eisenhand mit Grabesstimme. »Du kannst mir nicht entkommen. Das Wasser ist mein Element!« »Nicht so voreilig, Eisenhand. Es ist auch das meine!«, schnarrte es aus dem Dunkeln. Überrascht drehte sich Kai um und entdeckte eine Schute, die in diesem Moment aus einem Seitenkanal glitt und auf seine kleine Nussschale zuhielt. Auf dem Heck konnte er zu seiner Erleichterung die zierliche Gestalt Fis ausmachen. Doch der Elf war es nicht, der gesprochen hatte. Am Bug des Kahns stand ein bärtiges Männchen mit Dreispitz, Schmähbauch und roter Säufernase, das rauflustig die Faust schüttelte. Der Unbekannte war nicht größer als ein Kobold.
»Koggs Windjammer!«, wütete Eisenhand mit Donnerstimme und hob seinen Arm aus Mondeisen. Über ihnen am Himmel begann es dumpf zu grollen und jäh zogen Sturm- wolken über der Stadt auf. »Wage es nicht, mir noch einmal in die Quere zu kommen. Ich bin jetzt kein Mensch mehr.«
Die knollennasige Gestalt kicherte und entkorkte mit den Zähnen eine Flasche, die mit einer schwach phosphoreszierenden Flüssigkeit gefüllt war. »Na, das trifft sich gut. Wie du weißt, bin ich das ebenfalls nicht.«
Der bärtige Kauz ließ die Flüssigkeit aus der Flasche ins Wasser plätschern. Der Kanal erstrahlte an der Stelle in fahlblauem Licht und die Ratten, die Kais Boot fast erreicht hatten, drehten hysterisch piepsend ab. Um sie herum gurgelte und plätscherte es. »Neiiiin!«, brüllte Mort Eisenhand zornig und ballte die eiserne Faust. Am Himmel über ihnen rumorte es. Die Wolken zogen sich spiralförmig zusammen und nahmen eine schwefelgelbe Färbung an.
In diesem Augenblick schäumte das Wasser um Kai herum auf. Sein Boot wurde von einer machtvollen Welle angehoben, die ihn hoch hinauf bis zu den Fenstern der angrenzenden Speicher trug.
Eisenhand brüllte vor Wut. Doch es war zu spät. Die gewaltige Flutwelle rollte auf ihn zu und spülte alles fort, was sich ihr in den Weg stellte. Kai stürzte nach hinten und konnte nur aus den Augenwinkeln mit ansehen, wie die Barke mit den Knochenmännern gegen eine Mauer geschmettert wurde. Mort Eisenhand traf die Wand aus Wasser am heftigsten. Mit Macht erfasste sie den Piraten und spülte ihn gurgelnd und fauchend die Gasse hinauf, aus der sie gekommen waren. Am Himmel flammte ein gleißender Blitz auf und schlug in einen der Hausgiebel ein. Funken stoben herab. Die Fluten beruhigten sich wieder und rauschend strömte das Wasser zurück in den Kanal.
»Los, her mit dir, du Landratte!«
Der Bug des Lastschiffes schrammte
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