Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
schemenhaft erkannte, und wehrte sich nicht gegen den Glanz, der seinen Körper durchdrang. Doch ehe er in dieser Macht ganz aufgehen konnte, bemerkte er in einiger Entfernung einen Schatten, der ihn beobachtete.
Vielleicht war er schon die ganze Zeit über da gewesen und der Junge hatte ihn erst jetzt bemerkt. Er kam nicht näher, es war, als würde er den Kern des Lichts fürchten, aber der Junge erkannte ihn dennoch. Seine riesigen Schwingen erhoben sich majestätisch hinter ihm, und seine Augen trugen denselben Glanz in sich, der auch das Licht ringsum geboren hatte. Und doch war das Gold in seinem Blick anders. Es rührte etwas an in dem Jungen, etwas, das schmerzte, und für einen Moment spürte er das kalte Fressen des Lichts an seinen Gedanken, und ihn überkam das Gefühl, in die Glut dieser Augen fliehen zu müssen – in diese verschlungene Wärme, die den Frost von ihm nehmen würde, der ihn langsam auslöschte. Doch gleichzeitig brach das Licht in ihm selbst auf und mit ihm die Sehnsucht, mit dem Glanz des Engels zu verschmelzen, eins zu werden mit dem absichtslosen Spiel, das dieser ihm bot, und er riss sich los von der Gestalt und stürzte hinein in das, was er war.
In gleißenden Farben vereinte sich sein Licht mit dem Gold des Engels. Kalt war dieser Schein, unendlich kalt, aber der Junge fühlte es nicht mehr. Vollkommen ruhig schwebte er in diesem Glanz, und als der Engel ihn fragte, ob er bleiben wollte, für immer – da wollte er nichts anderes als das. Er sah zu, wie seine Finger sich in helles Licht verwandelten, wie er sich auflöste und eins wurde mit dem Strahlen ringsherum, das golden war und vollkommen und sonst … nichts …
Er fühlte dieses Wort auf seiner Zunge. Es sank wie ein schwerer Stein in ihn hinein, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, und mit einem Schlag war der Schmerz zurück, der seine Brust fast zerriss. Er hob die Hand, ein seltsamer Instinkt ließ ihn den Blick neigen, und als er die Faust öffnete, sah er blassblaue Ähren darin liegen – so blau wie das Meer. Gleichzeitig strich ein Lachen durch seine Gedanken, er sah die Augen eines Mädchens vor sich, er kannte ihren Namen, und als er ihren Blick erwiderte, da erinnerte er sich. Er hatte schon einmal etwas gefühlt wie in diesem Moment – vor einem Tag oder tausend Jahren, als sein Herz aufgehört hatte zu schlagen.
Klein und zerbrechlich schwebte der Junge ohne Namen vor der gewaltigen Sphinx, umfangen von Schleiern aus Licht. In tausend Farben brachen die Erinnerungen in ihm auf, sie kehrten zurück zu ihm und färbten das Licht in sterblichem Feuer, und er ertrug den glühenden Schmerz, den sie ihm brachten, ehe er langsam zu Boden sank. Die Farben zerbrachen, in feinen Funkenschnüren fielen sie um ihn nieder.
Nando , flüsterte eine Stimme, und es schien ihm, als hätte er seinen Namen noch nie so ausgesprochen gehört, so sanft und so … traurig. War es der Engel gewesen, der ihn rief?
Langsam sah er auf. Das Licht hatte sich in den Augen der Sphinx gesammelt, noch immer schaute sie ihn an. Der Engel wartete auf seine Antwort.
Nein , sagte Nando leise. Dieses Licht bin ich nicht.
Er sah noch, wie das Gold in den Augen des Engels aufglomm und in feinen Rissen über dessen Körper strömte. Und dann, mit einem gewaltigen Krachen, brach die Figur auseinander. Nando fiel zu Boden, so heftig war die Erschütterung. Er hob schützend die Arme, brennende Splitter zerfetzten die Luft, und gerade in dem Moment, da er meinte, diesen Lärm nicht länger ertragen zu können, brach ein Schrei hindurch und verwandelte das Licht zu Asche.
Rauchschwaden stiegen auf. Dort, wo gerade noch der Engel gesessen hatte, kauerte nun eine kleine Gestalt mit wirrem blonden Haar und Augen aus dunklem Gold. Ein Kind war es, ein Mädchen, und vor ihm, matt schimmernd im Schein der erlöschenden Funken, lag ein Schwert.
Flammen tanzten über die funkelnde Klinge, filigrane Streben bildeten den Korb, und aus dem Griff bildete sich das Motiv eines Drachen heraus, der seine Klauen fest um die Waffe wand und dessen aufgerissener Schlund den Knauf bildete. Seine Augen schienen in Flammen zu stehen, Nando hörte das Prasseln des Feuers in der offenen Kehle, und er meinte, die Bewegungen der einzelnen Krallen zu sehen, als er auf das Schwert zutrat. Er wusste, noch ehe er vor der Waffe in die Knie ging, um welche Klinge es sich handelte. Dieses Schwert kannte das Licht der Engel ebenso wie die Schatten der Dämonen, es hatte auf
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