Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
beiden Seiten Tod und Verderben gesät und den Teufel selbst in den Kreisen der Hölle gefangen gesetzt. Einst war es das Schwert Michaels gewesen, ehe der Teufel es mit schwärzester Schattenmagie zu dem seinen gemacht hatte. Niemand, so hieß es, konnte seine Kraft vollends ausschöpfen bis auf den Teufel selbst – oder eines seiner Kinder. Der Name dieses Schwertes war Bhalvris.
Nandos Hand schloss sich wie von selbst um das Heft der Klinge. Er spürte die Kälte des Lichts ebenso wie die Hitze der Dunkelheit, als er wortlos einen Schwur tat: Er würde diese Waffe nutzen, um den Teufel zu bezwingen, und er würde tun, was dafür nötig war. Er würde sie führen mit aller Kraft, die er besaß.
Das Mädchen hatte ihn schweigend beobachtet, aber als er es jetzt ansah, lächelte es. Es war ein Kind, ein ewig spielendes, einsames, Kind, und zugleich ein weiser, uralter Engel, der sich hinter der Maske einer Sphinx verbarg und der ihn nun ansah, verzweifelt, erhaben, allein.
Nichts …
Er hörte das Wort erneut in sich widerklingen, wusste, dass es unlöschbar in diesem Wesen brannte, und konnte die Schmerzen erahnen, die keinen Namen hatten und gerade deshalb so entsetzlich waren.
Er erwiderte das Lächeln des Kindes und hatte zum ersten Mal das Gefühl, dass der Cor Wanoy seiner wahren Gestalt mit dieser Erscheinung nahekam. Er hätte ihn gern getröstet, wohl wissend, dass das unmöglich war, und wie von selbst nahm er die Hand des Engels und legte die blauen Ähren hinein. Sie waren ein wenig zerdrückt. Mit halbem Schrecken sah Nando, wie sie sich in die eiskalte Haut des Mädchens gruben. Aber sie schaute ihn nur an, das Lächeln schmolz von ihren Zügen, und eine Träne floss über ihre Wange, eine Träne aus Glas.
Im selben Moment kroch unsichtbares Feuer von den Ähren über ihren Leib und verwandelte ihn zu Asche, und kaum dass er lautlos zerbrach, wurde Nando durch die Luft geschleudert und landete hart auf dem Rücken. Er fand sich vor dem Portal wieder, das in sich zusammenfiel wie Sand, und fühlte Noemi, Avartos und Kaya hinter sich. Sie kamen näher, sie waren die ganze Zeit über da gewesen, ebenso wie Hadros, der ihn aus einiger Entfernung beobachtete. Aber Nando wandte sich nicht zu ihnen um. Seine Brust wurde wie von eisernen Klauen zusammengepresst, und erst als heftiger Donner die Nacht der Wüste zerriss und es zu regnen begann, konnte er Atem holen.
Die Tropfen fielen kalt und zärtlich zugleich auf seine geschlossenen Lider, und es schien ihm, als wären es die Tränen eines kleinen Mädchens. Deutlich sah er es vor sich, so deutlich, als würde er dieses Bild niemals mehr vergessen. Lange stand er so da, Nando, der Engel, der Dämon, das Menschenkind, stand da mit dem Schwert des Teufels in seiner Hand und sah den Engel weinen.
35
Der Regen verwischte die Konturen der Wüste, und ehe Nando sich versah, fand er sich im Hauptsaal des Klosters wieder. Das Licht des Portals erlosch um ihn herum, und er spürte, wie das Schwert sich in seiner Hand auflöste. Als flirrender Staub formte es sich im Inneren des Schreins nach und erhellte die Gesichter der Mönche, die nun aus den Schatten traten. Avartos, Noemi und Kaya betrachteten Bhalvris mit stiller Faszination. Nur Hadros beachtete die Waffe nicht. Er hatte die Maske der Wüste fallen gelassen, und seine ganze Aufmerksamkeit ruhte auf Nando. Es war sein Blick, der diesen vorwärtszog, Schritt für Schritt auf den Schrein zu.
Nando war sich bewusst, dass er Bhalvris aus seinem Schutzraum befreien musste, unter den Augen jener, die es für so lange Zeit bewahrt hatten. Dicht vor dem Schrein hielt er inne und betrachtete die kunstvolle Waffe, doch er konnte sich nicht überwinden, die Hand nach ihr auszustrecken. Was, wenn er trotz aller Vorsätze versagen sollte? Was, wenn das Schwert des Teufels aus ihm eine Marionette seines Herrn machte, willenlos und tödlich für jede freie Welt?
Bhalvris ist ein Schwert des Lichts , sagte Hadros da und sah ihn mit rätselhaftem Lächeln an. Es wurde von Kräften geschmiedet, von denen wir keine Vorstellung haben, und auch wenn die Finsternis die Macht dieser Klinge vergiftet hat, so konnte sie ihren Kern doch nicht vernichten. Noch gehört dieses Schwert nicht dir, doch ich werde dich lehren, es zu führen, und wenn du es auf deinem ersten Schlachtfeld auf dich prägst, wird es ein Teil von dir werden wie ein zweiter Herzschlag, der dich in den tiefsten Schatten beschützt. Dann, Menschensohn,
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