Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)
als er ein neues Licht entfachen wollte, ein Licht, das diese verdammte Hütte in Schutt und Asche legen würde, glitt die Tür einen Spaltbreit nach innen auf und ließ einen Schwall aus rotem Nebel auf die Gasse quellen. Vor ihnen stand ein kleines Mädchen.
Blond war sie wie die Engel, die sich die Menschen in ihren dunklen Stunden erdachten, ihre Augen lagen glänzend wie zwei Perlen in ihrem zarten Gesicht, und sie waren so blau, dass Avartos meinte, den Himmel in ihnen erkennen zu können, so wie er die Wärme der Sonne in ihrem Haar erahnte. Ihr weißes Kleid ließ sie in dem unheilvollen Schein noch zerbrechlicher wirken, und als sie die Hand nach Nando ausstreckte und lächelte, da schien es, als würde es nicht mehr brauchen als einen kleinen Schritt, um sie aus den Fängen dieses Hauses zu befreien. Avartos beobachtete, wie Nandos Hand sich fester um sein Schwert schloss, das Schwert mit dem roten Rubin, das er einst von Silas bekommen hatte. Kurz schwankte er, und dann formte sich entschlossen ein harter Zug um seinen Mund. Kaum merklich neigte der Sohn des Teufels den Kopf.
»Bhru’koldur«, raunte er, und Avartos hörte das Grollen, das in den Silben mitschwang wie das Stöhnen von Dämonen, die in Ketten lagen. Das Mädchen starrte ihn an, aber das Lächeln gefror auf ihrem Gesicht und verzerrte es zu einer grotesken Maske. Als Nando einen Schritt auf sie zutrat, sprang sie in die Luft, so schnell, dass selbst Avartos ihren Bewegungen kaum folgen konnte. Hoch oben im Türrahmen blieb sie hocken. »Heron«, fuhr Nando fort und hob die Hand. »A’karyel!«
Kaum dass sein Zauber aus weißem Licht das Mädchen traf, riss es den Mund auf. Ihr Schrei hallte in der Gasse wider, das Blau ihrer Iris zersprang und ließ die faulende Finsternis erahnen, die in ihrem Körper hauste. Schon zerriss das Licht ihre Haut und offenbarte die Maden, die durch ihr Fleisch krochen, aber da floh sie bereits ins Innere des Hauses. Der rote Schein flackerte leicht, als die Tür weiter aufschwang.
»Sehr einladend«, murmelte Kaya. »Ich habe immer schon davon geträumt, von einem Haus gefressen zu werden, ganz ehrlich.«
Nando lachte leise. »Sofern es nur Teile von dir erwischt, hast du hinterher immerhin was zu erzählen.« Dann suchte er Avartos’ Blick. Der Engel nickte ihm zu. Sie hatten ihren Weg gewählt. Nun gab es kein Zurück mehr.
Dumpf pulsierte ein Feuerwirbel in Avartos’ Hand, als sie ein finsteres Gewölbe betraten. Massive, von Fackeln erhellte Säulen bildeten einen Gang direkt vor ihnen. Er war ausgesprochen lang, viel länger, als es das kleine Haus erlauben konnte, und während der Raum sich zu den Seiten in der Dämmerung verlor, klaffte am Ende des Gangs ein schwarzes Loch in der Wand. Abgesehen vom Eingang war es der einzige Weg hinaus. Avartos trat darauf zu – und stieß schmerzhaft gegen eine gläserne Wand. Er fuhr sich an die Stirn, Blut blieb an seinen Fingern haften, und als er sich umdrehte, standen Nando und Noemi weit von ihm entfernt.
Was geht hier vor?, fragte er in Gedanken, doch seine Stimme hallte laut wider und brachte Noemi dazu, die Hände auf die Ohren zu pressen und das Gesicht vor Schmerzen zu verziehen. Avartos ging auf sie zu, aber wieder stieß er gegen eine Wand. Seine Hände glitten über eiskaltes Glas, und er schaute seinem eigenen Spiegelbild ins Gesicht. Erst jetzt bemerkte er, dass zahlreiche Säulen nur zur Hälfte da waren und ihre andere Seite von hohen Spiegeln erhielten. Strahlenförmige Linien liefen von den Säulen fort und erzeugten die Illusion der Unendlichkeit in dem dunklen Gewölbe.
Ein Labyrinth , schoss es Avartos durch den Kopf.
Nebel stieg in einigen Spiegeln auf, bis Avartos die anderen nicht mehr sehen konnte, und so tastete er sich allein voran. Oft genug war er in Irrgärten geraten, und stets hatte er einen Ausweg gefunden, doch bald musste er feststellen, dass sich dieses Labyrinth von allem, was er kannte, unterschied. Dies war kein Ort, von dem man leicht entkommen konnte, das begriff er langsam, und als er scheinbar zum dritten Mal im Kreis gelaufen war, musste er sich zwingen, ruhig zu bleiben. Panik breitete sich in ihm aus, ein Gefühl, das er jahrhundertelang bei den Menschen belächelt hatte, und doch konnte er sich nicht dagegen wehren. Der langsame Verlust der Hoffnung war es, der seine Schritte beschleunigte, der ihn wieder und wieder dieselben Wege gehen ließ und Fragen durch seinen Schädel jagte, dumme, sinnlose Fragen,
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