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Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition)

Titel: Die Chroniken der Schattenwelt: Angelos (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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und seufzte unhörbar. Es gab in letzter Zeit so einiges, das er noch nie zuvor getan hatte. Er brauchte nur einen Blick auf die beiden Nephilim zu werfen, denen er folgte, um daran erinnert zu werden.
    Nando bewegte sich beinahe lautlos, wie Avartos es ihn gelehrt hatte. Teils neugierig, teils vorsichtig schaute er in die düsteren Nischen der Baracken, und hin und wieder ballte er die linke Hand zur Faust, um die Stärke seines Abwehrzaubers zu überprüfen. Kaya war auf seiner Schulter zur purpurfarbenen Salzsäule erstarrt, seit ihr der erste Nekromant seinen modrigen Atem ins Gesicht gepustet hatte, und Noemi, den Kopf hoch erhoben, als gäbe es nichts auf der Welt, das sie fürchten musste, hielt den Zauber in ihrem Umhang verborgen. Avartos lächelte unmerklich. Es ging ihm gewaltig gegen den Strich, einem halben Dämonenkind durch diesen Moloch zu folgen, ohne dass er wusste, wohin es ihn führte – ausgerechnet er, der sich immer wieder selbst der Herrschaft der mächtigsten Krieger seines Volkes widersetzt hatte. Aber eines stand fest: Selten hatte er einen von ihnen so majestätisch in die Finsternis ziehen sehen, wie Noemi es tat, ohne dass sie mehr dazu brauchte als die Hand auf einem ihrer Messer und ihren Blick, der furchtlos und unnachgiebig über die verrotteten Hütten strich.
    Doch je weiter sie in die Rarzedas vordrangen, desto stärker spürte Avartos die Kälte, die ihnen bedrohlich nachkroch. Er hörte die leise gemurmelten Beschwörungen der Nekromanten und Schwarzmagier in den schäbigen Hinterhöfen, und immer wieder zerrissen markerschütternde Schreie die Luft, die ebenso gut von Sterbenden wie von erwachenden Toten stammen konnten. Instinktiv umfasste er seinen Bogen. Er spürte die Blicke der Dämonen genau, die hinter den dunklen Fenstern hockten, wusste, dass sie nach seinem Blut gierten und nach dem Fleisch der Nephilim, und als die Gassen enger wurden und sich die Luft mit Nebel füllte, entfachte er ein goldenes Feuer in seiner Hand und reichte es an Nando weiter. Sein Schein trieb die Finsternis zurück, und doch schien es Avartos, als würden sich in ihr sämtliche Geister der Schattenwelt zusammenschließen, um bei der erstbesten Gelegenheit über sie herzufallen.
    Sie bogen in eine schmale und hohe Gasse ein. Der Feuerschein flackerte über die Mauern und Avartos bemerkte eine dunkle Spur auf den Steinen. Verkrustetes Blut und abgebrochene Nagelreste von menschlichen Fingern. Auch der Boden war mit Blutspuren übersät, als wären Verwundete mit nackten Füßen über dieses Pflaster gelaufen. Als Avartos aufsah, fiel sein Blick auf eine Tür im letzten Haus der Gasse. Rötlicher Nebel kroch unter dem Falz hervor, und Avartos meinte, das Lachen eines Menschen zu hören. Oder war es ein Todesschrei?
    »Ich hab’s gewusst«, murmelte Kaya und starrte mit tellergroßen Augen auf die Tür. »Es war eine reichlich miese Idee hierherzukommen.«
    Noemi warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Das nächste Mal buche ich ein Reiseziel in Strandnähe. Nur würden wir dort vermutlich nicht die Hilfe finden, die wir brauchen.«
    »Nach einem Ort, an dem man uns hilft«, gab Kaya zurück, »sieht es hier aber auch nicht aus.«
    Sie hatten die Tür erreicht. »Das haben die Schatten so an sich«, murmelte Nando und klopfte an.
    Ein Wispern stob aus dem rissigen Holz und schlang sich mit unsichtbarem Griff um das Feuer in seiner Hand, bis es zu einer blassen Flamme zusammenschmolz. Dann verklang jedes Geräusch. Erst nach einer Weile näherten sich von der anderen Seite der Tür Schritte. Sie verursachten ein Echo, als würde sich in diesem winzigen Haus ein Palast verbergen – oder ein Grab. Wie eine Antwort auf diesen Gedanken kehrte das Flüstern zurück, und obgleich Avartos niemanden sehen konnte, spürte er doch die Eiseskälte einer Präsenz direkt vor sich. Er meinte, eine Stimme dicht bei seinem Ohr zu hören; sie sang in der Alten Dämonensprache und erzählte von den Kriegen zwischen Engeln und Dämonen und den Brandmalen, die sein Volk einst über die Kinder der Schatten gebracht hatte – Zeichen, die sich so tief in Fleisch und Gedanken brannten, dass sie alles zerrieben, was jenseits des goldenen Glanzes der Engel lag. Der Gesang wurde leiser und erstarb. Avartos sah, wie eine unsichtbare Hand durch Nandos Haar strich. Kaya zitterte am ganzen Leib, Raureif zog sich über die Wangen des Jungen. Dann wurde die Flamme ausgeblasen. Ein Fluch kam über Avartos’ Lippen, doch gerade

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