Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
sollten wir es erst gar nicht versuchen. Kehre zurück nach Amarid, Niall. Geh in Frieden.«
Niall starrte sie einige Zeit an, bevor er schließlich zögernd lächelte. »Soweit braucht es nicht zu kommen, Sonel; du brauchst mich nicht zu töten. Ich werde euch allein lassen.« Er sah die jungen Magier an. »Was immer ihr von mir halten mögt«, sagte er leise, »bitte wisst, dass ich mich freue, dass ihr in Sicherheit seid. Sonel hatte Recht: Ich würde euch niemals wissentlich Schaden zufügen.«
»Ich danke dir, Niall«, entgegnete Jaryd. Der Zorn war aus seiner Miene verschwunden, und nun sah er wieder sehr jung aus, wenn auch nicht mehr so jung, wie Niall ihn in Erinnerung hatte. »Du wolltest, dass wir bei Badens Verhandlung unsere Geschichte erzählen, und obwohl wir diese Lichtung nicht mit dir zusammen verlassen werden, kannst du sicher sein, dass wir das bereits die ganze Zeit vorhatten. Halte morgen nach uns Ausschau; wir werden da sein.«
»Es wäre allerdings besser«, fügte Alayna hinzu, »wenn uns niemand erwarten würde.«
Niall zögerte und fragte sich, wie das alles so kompliziert hatte werden können. »In diesem Fall«, sagte er schließlich, »würde ich vorschlagen, dass ihr alle - du ebenfalls, Sonel - außerhalb der Stadt bleibt, bis die Verhandlung begonnen hat. Ich bin euch auf Sartols Befehl hin gefolgt, aber ich war nicht der Einzige, der gesehen hat, wie du Baden besucht hast. Einige von diesen Leuten nehmen vielleicht an, dass noch weitere Personen in eure ... Verschwörung verwickelt sind, und wenn Sartol herausfindet, dass du mit den angeklagten Magiern verbündet bist, könnte auch dein Leben in Gefahr sein.«
Sonel nickte ernst. »Danke, Niall. Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen.«
Ohne zu antworten drehte Niall sich um und setzte dazu an, die Lichtung zu verlassen. Er war unsicher, wie er Alaynas Bitte, ihre Anwesenheit geheim zu halten, mit dem Vertrauen in Einklang bringen sollte, das Sartol zu ihm hatte. Gedanken und Impulse schwirrten in seinem Kopf herum wie Schnaken an einem warmen Nachmittag, und er war vollkommen durcheinander und desorientiert.
Sonel schien das zu bemerken. »Niall!«, rief sie. Er blieb stehen, ohne sich umzudrehen, und wartete schweigend.
»Wenn du immer noch daran zweifelst, was wir dir gesagt haben, kann ich dir noch einen weiteren Beweis anbieten. Baden glaubt, dass Sartol den Rufstein verändert - dass er versucht, ihn an sich zu binden. Er hat bemerkt, dass der Stein Sartols Ceryllfarbe annimmt, wenn Sartol daran vorbeigeht. Halte danach Ausschau; vielleicht glaubst du ja dem, was du mit eigenen Augen siehst, mehr als unseren Worten.«
Niall blieb noch einen Augenblick still stehen. Dann ging er weiter und ließ sich von dem schmalen Pfad zum Hauptweg zurückführen. Dabei dachte der silberhaarige Eulenmeister immer wieder über seine Begegnung mit Sonel, Jaryd und Alayna nach, besonders über die letzten Worte der Eulenmeisterin, bevor er die Lichtung verlassen hatte. Wenn Sartol tatsächlich versuchte, sich mit dem Stein zu verbinden, wie Sonel behauptet hatte, würde das die Geschichte der jungen Magier sehr viel glaubwürdiger machen. Ein Magier, der den Orden auf legitime Weise anführen wollte, würde solche Macht nicht brauchen und auch kein Bedürfnis verspüren, die Naturgesetze, die die Magie beherrschten, auf diese Weise zu nutzen. Tatsächlich hatte Niall nicht die geringste Ahnung, welche Anstrengung es kosten musste, einen Ceryll von der Größe des Rufsteins zu verändern, ebenso wenig, wie er sich auch nur vorstellen wollte, welch gewaltige Macht der Stein einem Magier verleihen konnte.
Er versuchte immer noch zu begreifen, welcher ungeheuerlichen Gefahr der Orden gegenüberstand, falls Sonel wirklich Recht hatte, falls Sartol tatsächlich dabei war, sich mit dem Stein zu verbinden, aber dann wandte er sich einem näher liegenden Problem zu: Sartol würde am Morgen einen Bericht von ihm erwarten, und Niall hatte keine Ahnung, was er dem Eulenmeister sagen sollte. Er konnte auf keinen Fall erwähnen, dass er mit Jaryd und Alayna gesprochen hatte, nicht, solange auch nur die geringste Chance bestand, dass sie ihm die Wahrheit gesagt hatten. Und er musste zugeben, dass ihm ihre Geschichte nicht unglaubwürdig vorkam. Vardis hatte ihm allerdings mehr als einmal gesagt - für gewöhnlich, nachdem sie herausgefunden hatte, was er ihr zum Geburtstag oder zum Hochzeitstag schenken wollte -, dass er ein sehr schlechter Lügner
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