Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
Schweigen breitete sich aus. Seit tausend Jahren hatte kein Magier die Macht und den Willen des Ordens herausgefordert, seit Theron war kein Magier mehr bei einer Versammlung gestorben, und niemals zuvor war einer auf solche Art getötet worden. Vielleicht hätte eine Leiche auf seltsame Weise geholfen, die unbegreifliche Szene, die sich gerade abgespielt hatte, zu verstehen. Aber von dem Eulenmeister, der noch vor so kurzer Zeit zum neuen Oberhaupt des Ordens auserkoren gewesen war, war nichts mehr übrig geblieben. Nichts erinnerte auch nur an seine Eule. Nur der Rufstein, nun still, dunkel und farblos, stand noch als Beweis, dass Sartol versucht hatte, den Orden zu beherrschen. Nur ein goldenes Medaillon auf dem Dach der Großen Halle zeugte davon, dass der Eulenmeister je an diesem ovalen Tisch gesessen hatte. Und heute Abend würde in einer abgelegenen Ecke der Nordebene eine Gestalt erscheinen, durchdrungen von hellgelbem Licht und nicht von einer Eule begleitet, sondern von einem großen, dunklen Falken, dem ersten Vogel, an den Sartol sich gebunden hatte.
Es war wenig überraschend, dass es am Ende Baden war, der die Stille brach. »Danke«, sagte er zu dem kräftigen blau gewandeten Mann und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Du hast uns alle gerettet. Aber warum? Ich dachte, dass du für Sartol arbeitest.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Wir arbeiten für die Halle und für euch alle. Als Eulenmeister Sartol uns einstellte, sagte er, er brauchte unsere Hilfe dabei, Verräter dingfest zu machen. Er sagte, ihr hättet die Eulenweise getötet und wärt verantwortlich für die Angriffe.« Der Mann zuckte die Achseln. »Als ich sah, dass er selbst der Schuldige war, dachte ich, es wäre besser, euch eure Kristalle zurückzugeben.«
Baden lächelte. »Ich bin froh, dass du das getan hast. Wie heißt du?«
»Mansel, Eulenmeister.«
»Nun, Mansel, dieser Orden und all die Menschen, denen er dient, stehen tief in deiner Schuld.«
Mit vor Verlegenheit roten Ohren nickte der Mann, und dann kehrte er ohne ein weiteres Wort zu seinem Platz nahe dem Eingang der Halle zurück und nahm seine Wachpflichten wieder auf.
Baden sah ihm nach, und dann schaute er die anderen Magier an. Keiner von ihnen hatte sich geregt oder einen Laut von sich gegeben. »Wir täten gut daran, Mansels Beispiel zu folgen«, erklärte Baden und zeigte auf den Diener. »Was gerade hier geschehen ist, hat mich ebenso verstört wie euch. Wir werden in der nächsten Zeit über vieles nachdenken und diskutieren müssen. Und wir müssen angemessen trauern, nicht nur um Jessamyn und Peredur, sondern auch um Sartol. Er war einmal ein geachtetes Mitglied dieses Ordens. Sein Sturz stellt eine Lektion dar, die keiner von uns ignorieren sollte.« Der Eulenmeister holte tief Luft, und als er wieder sprach, lag in seiner Stimme eine Eindringlichkeit, die ihr zuvor noch gefehlt hatte. »Aber nun ist nicht die Zeit für Grübelei und Kummer. Feinde dieses Ordens und des ganzen Landes sind immer noch in Tobyn- Ser unterwegs, und wir müssen sie aufhalten, bevor noch ein weiterer Ort dasselbe Schicksal erleidet wie Kaera und Wasserbogen.«
»Die Fremden?«, fragte Radomil angespannt.
»Ja. Ich kann auch denen unter euch, die immer noch nicht überzeugt sind, nur immer wieder versichern, dass es sie wirklich gibt.«
»Theron hat uns ebenfalls von ihnen erzählt«, fügte Jaryd hinzu. »Er hatte Visionen von ihnen. Selbst nachdem zwei von ihnen in Wasserbogen umgekommen sind, sind noch mehr als ein Dutzend übrig.«
Radomil riss entsetzt die Augen auf. »Ein Dutzend!« »Das hat Theron gesagt.«
Mehrere Magier wurden von dieser Nachricht aus ihrer Starre gerissen und begannen sich zu rühren.
»Wir müssen sie aufhalten«, wiederholte Baden. »Aber zunächst einmal müssen wir sie finden. Hat jemand Vorschläge, wie man das tun könnte?«
»Bevor ich mir anmaße, irgendeinen Vorschlag zu machen«, entgegnete Radomil, »würde ich gerne hören, was Theron über diese Leute und die Gründe, wieso sie hier sind, zu sagen hatte.«
Baden nickte zustimmend und sah Jaryd an.
»Theron hat uns nicht alles gesagt, was er weiß«, begann der junge Magier und schob sich verlegen das braune Haar aus der Stirn. »Wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, ist er weiterhin dem Orden gegenüber feindselig eingestellt, und zunächst hat er sich einfach geweigert, uns zu helfen.« »Es kommt mir so vor«, warf Odinan hitzig ein, »dass wir diejenigen sein
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