Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
hatte der Orden eine offene Gedenkfeier zu Ehren von Jessamyn, Peredur und Niall veranstaltet, und die Eulenmeister hatten nach einem ganzen Tag bissiger Debatten und geheimer Abstimmungen Sonel zur neuen Eulenweisen gewählt. Sie wählte dann Toinan zu ihrer Ersten, in einem Versuch, Odinan und die anderen älteren Meister zu beschwichtigen, die einen Gegenkandidaten aufgestellt hatten. Als die Eulenmeister am Abend dieses Tages den Versammlungssaal verließen, verkündeten sie, die Weise würde offiziell in zwei Tagen ernannt werden. Normalerweise hätte eine solche Ankündigung viel Freude und hohe Erwartungen mit sich gebracht. Am nächsten Tag versuchte allerdings eine Gruppe aus der Menschenmenge, die sich immer noch um das Gebäude scharte, die Große Halle zu stürmen, offensichtlich, um den Fremden zu finden und zu töten, von dem sie nun glaubten, dass der Orden ihn eher beschützen als bestrafen würde. Die Männer und Frauen, die die Halle hatten stürmen wollen, wurden von den Wachtmeistern der Stadt verhaftet, ehe sie großen Schaden anrichten konnten, aber der Vorfall warf einen Schatten auf die Vorbereitungen zur Ernennungszeremonie. Zum ersten Mal in der Geschichte des Ordens waren die Magier gezwungen, die Stadtwache zu bitten, die Prozessionsroute zur Eröffnung des Rituals abzusichern.
Der Morgen des für die Zeremonie ausgewählten Tages dämmerte grau und neblig. Und obwohl sich die Zuschauer schon mit dem ersten Tageslicht zu sammeln begonnen hatten, dämpfte die offensichtliche Präsenz der Wachtmeister die Vorfreude. Als sich die Magier und Meister an Amarids altem Haus versammelten, um sich für die Prozession aufzustellen, kam Baden zu Jaryd und Alayna, die bereits ihre Plätze am Ende der Reihe eingenommen hatten. Jaryd hatte seinen Onkel seit ihrem Gespräch im Adlerhorst kaum zu sehen bekommen; Baden hatte die Zeit damit verbracht, sich mit den anderen Eulenmeistern zu beraten und den Fremden noch mehrmals zu verhören.
Der Eulenmeister sah müde und abgehärmt aus, als er die jungen Leute begrüßte, aber sein Lächeln war echt. »Bereit für eure erste Ernennungszeremonie?«, fragte er und nickte dabei ein paar anderen Magiern zu, die gerade vorbeikamen. »Ich denke schon«, erwiderte Alayna, »obwohl es sich nach dem neuesten Vorfall nicht nach einer großen Feier anfühlt.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung«, murmelte Baden säuerlich. »Ich habe Sonel schon gesagt, dass ich die Wachen nicht für eine gute Idee halte, aber ich kann ihre Sorge verstehen.« Er schüttelte den Kopf. »Es sind wirklich finstere Zeiten«, sagte er mehr zu sich selbst als zu den jungen Magiern.
»Ich weiß eigentlich gar nicht, was heute passieren wird«, sagte Jaryd in dem Versuch, das Thema zu wechseln. »Was sollen wir denn tun?«
»Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen«, erwiderte Baden. »Folgt einfach nur dem Beispiel der älteren Magier, und alles ist in Ordnung. Und was die Zeremonie selbst angeht«, fuhr er fort, »die hat sich im Lauf der Jahre verändert. Früher einmal, lange bevor ich Mitglied des Ordens wurde, wurde der Name des neuen Eulenweisen tatsächlich erst bei dieser Zeremonie bekannt gegeben - die Eulenmeister diskutierten die Verdienste und Mängel der diversen Kandidaten öffentlich, dann wählten sie geheim, aber vor Zuschauern. Meine Großmutter erzählte, dass man nach einer besonders widerwärtigen Debatte damit aufgehört hat. Jetzt ist es kaum mehr als eine Formalität; ein öffentliches Bekenntnis zu der Entscheidung, die die Eulenmeister schon zwei Tage zuvor unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt haben.«
»Das hört sich viel besser an«, sagte Jaryd. »Auf diese Weise werden sicher einige Kränkungen vermieden.«
Baden nickte. »Das nehme ich an, obwohl ich inzwischen Zeuge von drei Weisen-Wahlen geworden bin und es immer recht höflich zuging.« Baden hielt inne und winkte weiteren Bekannten zu. Einen Augenblick später jedoch wandte er sich wieder an die jungen Leute und sah erst Alayna, dann Jaryd forschend an. »Nun«, sagte der Eulenmeister in verändertem Ton, und sein Blick war viel ernster geworden, obwohl er immer noch lächelte, »habt ihr beiden euch schon entschieden?«
»Nein«, gab Jaryd zu. »Aber es könnte uns vielleicht helfen, zu einer Entscheidung zu kommen, wenn du uns verrätst, warum dich das so interessiert.«
Der Eulenmeister dachte einen Augenblick nach. »Also gut«, sagte er schließlich. »Was ich euch vieren neulich
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