Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
seine Sorge um Baden war seinem braun gebrannten Gesicht deutlich anzusehen.
Alayna, die zwischen den beiden Männern ritt, konzentrierte sich auf die Bewegungen ihres Pferdes und versuchte, zumindest für eine Weile nicht an Baden und Sartol und die Angriffe auf Tobyn-Ser zu denken. Aber bald schon wurde ihr klar, dass ihr diese Ruhepause nicht vergönnt war. Stattdessen stellte sie, als sie zerstreut auf die Wellen hinausschaute, fest, dass es ihr nicht gelang, das Bild Sartols aus ihrem Kopf zu verdrängen. Sie versuchte, an ihre Familie und Brisalli zu denken, aber auch dort war er, machte ihr bezaubernde Komplimente und sagte voraus, dass sie sich eines Tages dem Orden anschließen würde. Sie versuchte, an Jaryd und ihre Beziehung zu ihm zu denken, aber sie sah nur das von Angst und Schmerz verzerrte Gesicht des jungen Magiers, als Sartol versagt hatte, ihn zu töten.
Wohin sie sich auch wandte, erschien Sartol mit seinem liebenswerten Lächeln und seiner entwaffnenden Art, bis sie nicht mehr dagegen ankämpfen konnte. Jaryd hatte Recht: Solange sie ihre Zweifel und Dämonen nicht bezwungen hatte, würde sie nicht im Stande sein, daran vorbeizukommen. Also hörte sie auf davonzulaufen und wandte sich im Geist dem Eulenmeister zu, während sie weiter in der Hitze und der strahlenden Sonne über Therons Weg ritt. Am Tag zuvor, als die drei am Strand entlanggeritten waren und Trahn ihnen die Geschichte von Therons Weg erzählt hatte, hatte Alayna darüber nachdenken müssen, wie sehr sich ihre Wahrnehmung von Theron und seinem Fluch in den vergangenen Tagen verändert hatte. Die Menschen von Tobyn-Ser hielten den Eulenmeister für ein Ungeheuer. Das hatte sie auch selbst bis vor ein paar Tagen getan. Aber nun verstand sie Theron besser. Er war ein Mensch gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Sicher, er hatte Macht gehabt, aber am Ende waren es seine menschlichen Fehler gewesen, die ihm schadeten: Arroganz, Stolz, Neid. Und sie fragte sich, ob das Land ihm je verzeihen würde. Dieser Gedanke brachte sie selbstverständlich wieder zu Sartol und dem Schmerz über seinen Verrat, der immer noch eine offene Wunde in ihrem Herzen darstellte. Sie hatte sich gefragt, ob sie vielleicht irgendwann einmal an einen Punkt gelangen würde, an dem sie akzeptierte, dass Sartols Verrat ebenfalls nur Zeichen seiner Menschlichkeit war; ob sie ihm eines Tages vielleicht verzeihen könnte. Gehörten nicht Ehrgeiz und Gier ebenso zum Wesen eines Menschen wie jene Fehler, die sie Theron nun verzeihen konnte? Nun akzeptierte sie allerdings auch ihren Zorn auf ihren ehemaligen Lehrer; sie ließ ihren Hass auf das, was aus ihm geworden war, zu, und als sie daran dachte, was er ihr angetan hatte, begriff sie, dass es hier nicht darum ging, Sartol zu verzeihen - darum war es nie gegangen.
Wie schon Jaryd erkannt und versucht hatte, ihr zu sagen, musste sie sich zunächst selbst verzeihen. Und als sie das begriff, musste sie innerlich darüber lachen, wie wichtig sie sich nahm. Sartol hatte nicht nur sie verraten, nicht einmal allein den Orden. Er hatte das gesamte Land verraten - nach allem, was Theron ihnen erzählt hatte, hatte er einem Feind geholfen, der drohte, ganz Tobyn-Ser zu zerstören. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was er getan hatte und noch tun wollte, verblüffte sie. Und vor diesem Hintergrund erschien ihr ihr eigener innerer Aufruhr nun eigensüchtig und eitel. Sie hätte nicht sagen können, dass diese Erkenntnis ihre Stimmung sonderlich verbesserte oder auch nur den Schmerz verringerte, den sie immer noch wegen Sartols Betrug empfand. Aber sie ließ ihre Entschlossenheit wachsen und bewirkte, dass ihr der Rest des Ritts über Therons Weg ein wenig leichter fiel.
Die Sonne war hinter dem westlichen Horizont verschwunden, und der Himmel wurde langsam dunkel, als die Magier schließlich das Ende des Weges erreichten und ihre müden Pferde auf den trockenen Sand führten, der den Küstenrand von Tobyns Ebene bildete. Trahn hatte das Präriegras schon beinahe eine Stunde zuvor erspäht, Arick und Tobyn für ihre Freundlichkeit gedankt und sich zum ersten Mal, seitdem die Sonne hinter den Wolken aufgetaucht war, ein Lächeln gestattet. Auch Jaryd riss sich aus seinen sorgenvollen Gedanken und begann laut darüber nachzudenken, wie weit sie wohl gekommen waren und wann sie die Eulenmeister einholen würden. Alayna schwieg. Aber sie gestattete sich ein Grinsen, und als sie zu Jaryd zurückschaute, freute sie sich zu erkennen,
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