Die Chroniken von Amarid 02 - Der Kristall der Macht
und den größten Teil des Nachmittags getroffen hatte, waren die Verräter an diesem Abend nicht mehr aufgetaucht. Erst spät am Morgen des nächsten Tages hatte er erfahren, dass sie sich Amarid näherten. Und es sah so aus, als wären Baden und Orris nicht allein. Auch Trahn hatte sich ihnen angeschlossen, und die drei befanden sich nur ein paar Meilen südlich des Larian. Niall eilte zur Großen Halle und überbrachte Sartol die Neuigkeiten. Der Eulenmeister schien traurig über diese Information, aber nicht überrascht. »Ich würde gerne glauben, dass Trahn nichts damit zu tun hat«, sagte er bedrückt, »und dass Baden und Orris ihren Verrat vor ihm verborgen haben.« Er sah Niall an. »Vielleicht sollten wir auf dieser Grundlage handeln und nur die beiden festnehmen.« »Wenn Trahn unschuldig ist«, entgegnete Niall, »wird sich das bei der Verhandlung erweisen. Aber es wäre dumm zuzulassen, dass er sich frei innerhalb der Stadt bewegen kann. Du hast mich gebeten, nach möglichen Komplizen Ausschau zu halten, und um ehrlich zu sein: Trahn ist der Offensichtlichste. Er und Baden sind so gute Freunde, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es Baden gelingen könnte, etwas vor ihm zu verbergen. Ich denke, Trahn sollte zusammen mit Baden und Orris festgenommen werden.« Sartol dachte darüber nach und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Schließlich nickte er widerstrebend. »Wenn du es wirklich für notwendig hältst, beuge ich mich deinem Urteil. Aber es tut mir sehr Leid, dass es dazu kommen musste.«
Nun, mehrere Stunden später, als Niall im Gasthaus Kristall saß, dachte er mit einer Mischung aus Mitgefühl für Sartols Verzweiflung und Staunen angesichts seiner eigenen Unerbittlichkeit noch einmal über diesen Vorfall nach. Es passte gar nicht zu ihm, so hart, so unnachgiebig zu sein. Oder genauer gesagt passte es nicht zu dem Mann, zu dem er geworden war. Der alte Niall, der Mann, der mit Vardis verheiratet gewesen war, hätte es begriffen. Es ging nicht darum, dass er Trahn nicht mochte oder dass er Sartols
Hoffnung, dass der Falkenmagier unschuldig war, nicht teilte. In Wahrheit hatte er nicht nur Trahn, sondern auch Baden recht gern. Die Möglichkeit, dass sie den Orden verraten haben könnten, verstörte ihn gewaltig. Er hoffte sogar, dass selbst Orris, mit dem er sich nie verstanden hatte, sich bei der Verhandlung als vollkommen schuldlos erweisen würde.
Aber - und das war der Punkt, den Vardis nie verstanden hätte, selbst wenn der Mann, der er einmal gewesen war, ihn ihr wieder und wieder erläutert hätte - seine persönlichen Gefühle durften sich nicht auf das, was er tun musste, auswirken. Ebenso, wie es unangemessen gewesen wäre, seine Schwierigkeiten mit Orris darauf Einfluss nehmen zu lassen, wie er sich dem Falkenmagier gegenüber verhielt, so wäre es auch falsch gewesen, Trahn oder Baden anders zu behandeln, nur weil er sie mochte. Die drei Magier saßen in den Zimmern direkt über Niall gefangen, weil ein Mitglied des Ordens - tatsächlich der Mann, den die Eulenmeister demnächst wohl zum Oberhaupt wählen würden - behauptete, eine Verschwörung aufgedeckt zu haben, und er hatte glaubwürdige Beweise für seine Bezichtigungen geliefert. Er hatte sogar Zeugen. Niall konnte nur hoffen, dass alle drei Männer unschuldig waren, aber das nahm ihm nicht die Verantwortung.
Und das erklärte selbstverständlich, warum er hier saß, allein und unauffällig in einer dunklen Ecke des Gastzimmers. »Ich erwarte nicht, dass es viele sind«, hatte Sartol gesagt. »Vielleicht kommt auch überhaupt niemand.« Niall glaubte das nicht. Er hätte nicht genau sagen können warum. Es war ein Instinkt, nichts weiter - die Art von Intuition, von der er geglaubt hatte, er besäße sie nicht mehr, und die tatsächlich vor einem Jahrzehnt verloren gegangen war, nur um jetzt abrupt zurückzukehren, zusammen mit seiner Entschlossenheit und seiner Selbstachtung. Er war sicher, dass jemand auftauchen würde, um die Verurteilten zu besuchen. Jemand, den Niall kannte. Bald. Und dass diese Person ihn zu anderen führen würde, die ebenfalls mit den Männern, die er verhaftet hatte, im Bunde standen. Er war so gut wie sicher, dass es passieren würde; er wartete darauf ebenso, wie er freudig auf eine Lieblingsszene in einem von Caerbhalls klassischen Dramen gewartet hätte. Er brauchte einfach nur Geduld.
Und selbst davon war nur wenig vonnöten. Nur ein paar Minuten, nachdem er sich an den bierfleckigen
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