Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
schließlich, es herauszufinden. Am nächsten Tag stahl sie sich nach ihrem Unterricht zur Lichtung. Es war ein wunderschöner Nachmittag, sonnig und windig, und ungewöhnlich warm für einen Vorfrühlingstag. Als sie schließlich auf der Wiese saß, mit einem Haufen trockener Zweige und Laub vor sich, schauderte sie allerdings vor Aufregung. Sie war nicht sicher, was sie eigentlich tun sollte, und starrte das Holz an, glaubte, es würde sich vielleicht entzünden, wenn sie nur lange genug wartete. Nichts geschah. Sie schloss die Augen und stellte sich im Geist Feuer vor. Immer noch geschah nichts.
Sie öffnete die Augen wieder und verzog das Gesicht. »Vielleicht brauche ich doch einen Stab.«
Marcran stieß einen leisen Ruf aus.
Und da fiel ihr etwas ein. Sie schloss die Augen abermals, stellte sich noch einmal Feuer vor, und dann tastete sie im Geist nach Marcran, wie sie es immer tat, wenn sie ihn zu sich rufen oder ihn bitten wollte, hoch in den Himmel zu fliegen. Sofort spürte sie, wie etwas ihren Körper erfüllte, so warm und stark, als wären es Sonnenstrahlen. Sie hörte ein Knistern, und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie, dass das Holz und das Laub brannten.
Sie sprang auf und trat das Feuer schnell wieder aus. Schwer atmend sah sie sich um und schämte sich dessen, was sie getan hatte, und ihres rasenden Pulsschlags. Sie war immer noch allein. Niemand hatte sie beobachtet. Gleichzeitig angewidert und fasziniert, verstört und entzückt, sammelte sie mehr Zweige und wiederholte, was sie getan hatte. Diesmal war es leichter, obwohl ihr ein wenig schwindlig wurde. Wieder löschte sie die Flammen rasch. »Das genügt«, sagte sie, als müsse sie Marcran erklären, wieso sie aufhörten. »Wir sollten nach Hause gehen.« Am nächsten Tag war sie wieder auf der Lichtung, und auch am Tag danach. Und bald schon ging sie jeden Tag hin, und sie übte sogar, wenn es regnete. Sie hatte zwar keinen Stab, aber sie stellte fest, dass sie nicht nur Feuer entzünden, sondern auch ihre eigenen Schnittwunden und blauen Flecken heilen und Holz formen konnte. Anfangs war das ausgesprochen schwierig. Sie wurde schnell müde, und oft war ihr vor Erschöpfung schwindlig, sodass sie sich längere Zeit ausruhen musste, bevor sie wieder anfangen oder in den Tempel zurückkehren konnte. Darüber hinaus hatte sie wenig Kontrolle über ihre Macht. Ihre Versuche, Holz zu formen, endeten oft so jämmerlich, dass sie die Stücke, mit denen sie gearbeitet hatte, lieber verbrannte, als sie liegen zu lassen, wo jemand sie vielleicht entdecken könnte. Und einmal setzte sie einen ganzen Baum in Brand, obwohl sie nur ein kleines Feuer entzünden wollte. Es war reines Glück, dass das Feuer ausbrannte, bevor es auf den Wald übergreifen konnte.
Je mehr sie allerdings übte, desto geschickter wurde sie und desto mehr genoss sie es. Sie freute sich auf das Gefühl der Macht, das sie durchströmte. Sie fühlte sich wie ein Prisma, durch das Licht hindurchfiel und gebündelt, verändert, zu ihrem eigenen Licht wurde. Sie war Marcran in diesen Augenblicken näher, als sie sich je einem anderen Menschen oder Tier gegenüber gefühlt hatte. Und jeden Tag spürte sie, wie ihre Macht größer wurde.
Die Scham darüber, was aus ihr geworden war, verließ sie niemals vollkommen, aber sie wurde mit der Zeit geringer. Die anderen hatten vielleicht Angst vor ihr, aber sie zeigten nicht, dass sie sie wegen ihrer Bindung an Marcran verurteilten. Und als Cailin schließlich Linnea gegenüber zugab, dass sie ihre Fähigkeiten ein- oder zweimal eingesetzt hatte, schien die Älteste erstaunlicherweise erfreut zu sein. Sie stellte Cailin viele Fragen darüber, wie es sich anfühlte, Magie einzusetzen, und wie sie bei der Ausbildung ihrer Fähigkeiten weiterkam, aber sie tadelte sie nicht und wirkte keineswegs verärgert.
Als Cailin an diesem Wintertag in warme Decken gewickelt in ihrem Zimmer saß und Marcran ansah, musste sie bei dem Gedanken an ihre Bindung und ihre erste Erforschung ihrer Macht lächeln. Das schien alles so lange her zu sein. Sie hatte sich daran gewöhnt, Magierin zu sein. Sie dachte sogar von sich selbst auf diese Weise. Ein Teil ihrer alten Ablehnung war geblieben, aber nicht viel. Dass sie Macht hatte, schien Cailin weniger wichtig zu sein, als was sie damit machte. Ihre Bindung an Marcran als solche war kein Verrat an ihren Eltern. Ja, wenn sie sich dem Orden angeschlossen hätte - aber das würde sie niemals tun.
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