Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
Stattdessen würde sie ihre eigene Möglichkeit finden, dem Land zu dienen und das Geschenk zu ehren, das die Götter ihr gemacht hatten.
Selbst als ihr Vater geglaubt hatte, dass der Orden Tobyn- Ser verraten hatte, hatte er dennoch seinen Glauben an Amarid und alles bewahrt, was der Erste Magier getan hatte. »Amarid ist immer noch der größte Mann, der je in Tobyn-Ser lebte«, hatte er ihr an dem Abend, als er gestorben war, gesagt, und versucht ihr zu erklären, dass ein Geschenk Amarids immer noch Glück bringen konnte, auch wenn die Söhne und Töchter Amarids ihren Schwur, dem Land zu dienen, gebrochen hatten. Damals hatte sie das nicht begriffen, und sie hatte nie die Gelegenheit gehabt, ihn später danach zu fragen. Aber seit ihrer Bindung hatte sie nach und nach verstanden, was ihr Vater gemeint hatte. Die Vision des Ersten Magiers hatte weiterhin ihren Wert, ganz gleich, was aus dem Orden geworden war. Der Orden hatte kein alleiniges Recht auf Leoras Geschenk, und ganz gleich, was diese Leute damit anfingen oder nicht, sie konnten es nicht wirklich ändern. Es gehörte dem Land. Und nun, da Cailin es selbst erhalten hatte, nun, da sie sich davon durchdrungen fühlte, wusste sie, dass es etwas Gutes war. Immer vorausgesetzt, die Person, die sich dieser Macht bediente, hatte gute Absichten.
Sie klappte das Buch zu, das noch auf ihrem Schoß gelegen hatte, und legte es beiseite. Sie stand auf, behielt die Decke aber um die Schultern, während sie sich streckte und seufzte. Sie war ruhelos, und für einen Moment beneidete sie Marcran, der immer noch auf dem Betthaupt saß und schlief. Wenn sie doch auch die langweiligen Winternachmittage einfach hätte verschlafen können, damit sie schneller vorübergingen! Aber eigentlich wollte sie nicht schlafen. Eigentlich wollte sie zur Lichtung gehen. Aber sie konnte immer noch den Wind draußen heulen hören, und die trockenen Schneeflocken stießen gegen ihr Fenster. Resigniert schüttelte sie den Kopf, setzte sich wieder ans Feuer und griff nach dem Buch. Aber bevor sie es aufschlagen konnte, klopfte jemand an die Tür.
»Herein«, rief sie und legte das Buch wieder weg. Die Tür ging auf, und Linnea streckte den Kopf herein. »Störe ich dich, Cailin?«
»Älteste!«, rief Cailin, sprang auf und ließ die Decke auf den Boden fallen. »Nein, überhaupt nicht. Ich war gerade am Lesen. Komm doch herein!«
Linnea lächelte, aber sie wirkte ein wenig nervös und blieb an der Tür stehen. »Setz dich bitte hin, Kind«, sagte sie. Sie schaute über die Schulter hinweg jemanden an, den Cailin nicht sehen konnte. Dann wandte sie sich wieder dem Mädchen zu. »Ich habe jemanden mitgebracht, der dich besuchen möchte. Sie kommt von weit her, und ich möchte, dass du dich einmal mit ihr unterhältst.«
Cailin zuckte die Achseln. »Selbstverständlich, Älteste. Wer ist es denn?«
Statt einer Antwort kam Linnea nun ins Zimmer und bedeutete der Besucherin, ihr zu folgen. Cailins erster Eindruck von der Fremden war recht vage. Sie war groß und schlank und sie hielt sich wie jemand, der daran gewöhnt ist, Autorität auszuüben. Aber Cailin war viel interessierter an der Kleidung und an dem, was die Frau mitbrachte: der waldgrüne Umhang, der lange Holzstab mit dem leuchtenden grünen Kristall und selbstverständlich die große, rundköpfige Eule auf ihrer Schulter. Es kostete Cailin einige Anstrengung, den Blick von diesem beeindruckenden Vogel loszureißen und stattdessen die Frau anzusehen. Sie war etwa in Linneas Alter. Ihre Züge waren schärfer als die der Ältesten, aber ihre Miene war freundlich. Sie hatte helle, grüne Augen und weizenblondes Haar, das sie im Nacken zusammengebunden hatte, und sie lächelte Cailin an. »Das hier ist Eulenweise Sonel«, sagte die Älteste und schaute unsicher von der Magierin zu dem Mädchen. »Eulenweise, das ist Cailin.«
Die Weise trat einen Schritt vor, immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen. »Guten Tag, Cailin.«
Cailin schwieg. Eulenweise Sonel. Sie hatte gewusst, dass ihre Weigerung, sich dem Orden anzuschließen oder zu schwören, dass sie sich an Amarids Gesetze halten würde, die Magier verstören würde. Tatsächlich hatte sie schon lange Besuch aus der Großen Halle erwartet. Aber sie hätte nie gedacht, dass die Eulenweise selbst kommen würde. Sonel warf über die Schulter hinweg der Ältesten einen Blick zu.
»Oh!«, sagte Linnea immer noch nervös. »Ich sollte wohl lieber gehen.«
»Wenn du so gut sein
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