Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
war eine Art Geständnis, aber ihr war es plötzlich egal, ob Jibb es wusste oder nicht.
Ohne ein weiteres Wort verließ sie die Wohnung, sprang in ihren Transporter und fuhr rasch zum Zentrum zurück. Sie würde es noch vor dem Morgengrauen erreichen, aber es würde knapp werden.
Als sie die Höhe entlangraste, fiel ihr abermals auf, wie seltsam beruhigend sie es fand zu wissen, dass der Zauberer Jibbs Hinterhalt entgangen war. Der Konflikt, den sie in der Nacht gespürt hatte, in der sie den Entschluss zur Ermordung des Zauberers traf, war nun gelöst; in gewisser Weise lagen ihre Eltern nicht mehr im Widerstreit miteinander. Sicher, die Probleme, die Jibbs Versagen aufwarf, würden zahlreich und kompliziert sein, aber Melyor dachte nicht einmal daran. Sie hatte wieder von dem Zauberer geträumt - sie hatte wieder dieses Bild ihrer selbst gesehen, wie sie Seite an Seite mit diesem Mann und seinem wunderschönen Falken kämpfte, als wären sie beide Verbündete in einer großen und wichtigen Sache. Aber es gab noch mehr. Jibb hatte einen Steinträger gesehen. Der Zauberer hatte sich bereits mit den Gildriiten von Lon-Ser verbündet. War er gekommen, um den tausend Jahren der Unterdrückung der Gildriiten ein Ende zu machen? War das der Grund, wieso sie am Ende an seiner Seite kämpfen würde? War das der Grund, wieso der Träger hier war?
Vielleicht weil sie so in Gedanken versunken war, kam ihr die Fahrt zurück ins Zentrum kürzer vor als die zu Jibbs Wohnung. Sie stellte den Transporter wieder am gewohnten Platz ab, dann eilte sie durch die Tunnel und Gassen, bis sie den Lüftungsschacht erreicht hatte. Von dort aus folgte sie ihrem vorherigen Weg durchs Zentrum, wobei sie darauf achtete, den Heber noch einmal auf dem Stockwerk anzuhalten, in dem sich die Trainingseinrichtungen befanden.
Trotz ihrer Sicherheitsvorkehrungen wusste sie allerdings sofort, als sie ihr Zimmer wieder erreichte, dass es Ärger geben würde. Zum einen piepte ihr Sprechschirm. Arick allein wusste, wie lange das schon so war. Und als sie das Gerät schließlich mit zitternden Händen einschaltete, war es keine große Überraschung zu sehen, dass es sich um eine Botschaft von Cedrych handelte.
Die Nachricht lautete schlicht: »Ich will dich sehen.« Es bestand keine Notwendigkeit, noch »sofort« hinzuzufügen. Dennoch duschte Melyor, bevor sie sich zum Oberlord aufmachte, weil es einfach notwendig war und weil Cedrych das von ihr erwarten würde, wenn sie eine ganze Nacht auf dem Kampfgelände verbracht hatte. Es war ein Spiel, beziehungsweise die Fortsetzung eines Spiels, das sie seit Jahren gespielt hatten. Wenn Cedrych wusste, dass sie ihr Zimmer verlassen hatte - und das war anzunehmen, da er sich nach ihrem letzten nächtlichen Besuch bei Jibb so seltsam verhalten hatte -, dann hätte er sie als Erstes auf dem Kampfgelände gesucht. Und dann wüsste er selbstverständlich auch, dass sie nicht dort gewesen war. Aber falls ihr Trick doch funktioniert haben sollte, musste sie die Sache bis zum Ende durchziehen.
Als sie vor der Tür zu Cedrychs Büro im Ausbildungszentrum stand, das sich drei Stockwerke oberhalb ihres Zimmers befand, nahm ihr ein stoischer, muskulöser Gardist Werfer, Klinge und Stiefel ab und benutzte ein Handsuchgerät, um sie nach weiteren Waffen zu überprüfen. Selbst hier ging Cedrych kein Risiko ein.
Melyor betrat das Büro und fand Cedrych in der vertrauten Pose vor: Er stand am Fenster und schaute aufs Nal hinaus. Dieses Zimmer hatte wenig Ähnlichkeit mit seinem Büro in seinem Palast. Der Teppichboden war der gleiche wie in Melyors Zimmer, die Möbel waren schlicht, aber angemessen. Insgesamt war alles viel weniger opulent als in den Räumlichkeiten, in denen sie den Oberlord für gewöhnlich traf.
»Setz dich«, sagte er, ohne sie anzusehen.
Melyor spürte, wie ihr kalt wurde, und als sie dem Befehl Folge leistete, versuchte sie gleichzeitig, die Beschleunigung ihres Pulsschlages zu beherrschen.
»Es gibt ein Problem«, sagte der Oberlord und schaute weiter auf das Nal hinaus. »Eines, das wir schnell, aber mit größter Vorsicht lösen müssen.«
»Du machst mich neugierig«, erwiderte Melyor, die immer noch mit ihrer Nervosität rang.
Cedrych drehte sich um und spießte sie mit dem Blick seines gesunden Auges förmlich auf. Melyor hielt diesem Blick so lange wie möglich stand, aber schließlich musste sie sich doch abwenden. Sie schluckte. Als sie ihn einen Augenblick später ansah, bemerkte sie
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