Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
erwartet.«
Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Ich wusste, dass du dich mit mir in Verbindung setzen würdest«, gab sie zu, »allerdings hätte ich es nicht so früh erwartet.«
Das Lächeln lag noch immer auf den narbigen Zügen des Oberlords. »Es freut mich zu erfahren, dass ich dich immer noch überraschen kann.« Er warf einen Blick auf die Papiere auf seinem Schreibtisch. »Ich habe deinen letzten Tribut erhalten«, sagte er. »Wie immer pünktlich. Deine Zahlungen werden jeden Monat höher, meine Liebe. Ich bin sehr erfreut.«
»Danke, Oberlord.«
»Was deine Bitte um zusätzliche Zuwendungen für Reparaturen an der Höhe und den Blocks angeht, werde ich selbstverständlich erst noch mit Dureil sprechen müssen, aber ich glaube nicht, dass es Probleme geben wird.« Er sah sie lächelnd an. »Danach wird es allerdings deine Sache sein, mit den Schreibtischleuten zurechtzukommen.«
Melyor nickte. Der schwierigere Teil dabei, solche Arbeiten ausführen zu lassen, lag nicht darin, Cedrych die Zustimmung für Zahlungen abzuringen, sondern dafür zu sorgen, dass das Geld auch so verwendet wurde, wie sie es beabsichtigt hatte. Es mussten Formulare ausgefüllt und Arbeiter eingeteilt werden. Das war der schlimmste Teil ihrer Arbeit. Sie wusste, dass es viele andere Nal-Lords zur Verzweiflung trieb. Aber sie war inzwischen recht gut darin. Während andere Nal-Lords mit Gewalt drohten, damit die Papierbearbeiter oder Schreibtischleute, wie man sie oft nannte, ihre Arbeit machten, benutzte Melyor eine subtile Mischung aus Bestechung und Überredung. Im Lauf der Jahre hatte das ganz gut funktioniert, sicherlich auch dank Jibbs Ruf und der Drohung, die schon darin lag, dass er einfach an ihrer Seite stand.
»Brauchst du sonst noch etwas?«, fragte Cedrych. »Vielleicht Reparaturen des Tunnelsystems?«
Melyor holte tief Luft und wünschte, dass Cedrych mit dieser Konversation aufhören und das ansprechen würde, was sie beide interessierte. »Nein danke, Oberlord. Nur die Straßenreparatur und die Instandsetzungsarbeiten.«
»Also gut, meine Liebe«, sagte er mit breitem Grinsen, als gefiele es ihm, sie zappeln zu lassen. Dann drehte er sich in seinem hochlehnigen Stuhl zur Glaswand, und Melyor sah nur noch den oberen Rand seines rasierten Kopfes. »Ich habe letzte Nacht einen guten Mann verloren, Melyor«, sagte er. Er drehte sich wieder ein wenig mit den Stuhl, so- dass er sie sehen konnte. »Du hast vielleicht davon gehört?« Wieder wandte er sich zum Fenster. »Ich verliere nur ungern einen Mann mit Savils Talenten, obwohl ich verstehe, dass solche Dinge im Nal nun einmal geschehen. So ist nun mal die Welt, in der wir leben. Aber ich fände es besonders unangenehm zu erfahren, dass ich diesen Mann nur wegen eines lächerlichen Disputs verloren habe, den man leicht hätte bereinigen können, wenn alle nur einen kühleren Kopf bewahrt hätten.«
Melyor setzte dazu an, etwas zu sagen, aber Cedrych hob, ohne sich umzudrehen, einen Finger, als hätte er gespürt, dass sie sprechen wollte. »Gestatte mir, fortzufahren«, befahl er.
Sie schwieg und richtete den Blick auf den Schreibtisch. Und dabei entdeckte sie etwas, das ihr zuvor entgangen war, das aber nun bewirkte, dass ihr vor Angst schwindlig wurde. Ihr Dolch. Es war unglaublich, aber hier lag ihr Dolch, direkt neben der Schreibtischlampe, und der schwarze Griff zeigte anklagend in ihre Richtung. Cedrych sprach derweil weiter, sagte etwas über die unangenehmen Auswirkungen, die Attentate auf die Herrschaftsstruktur haben konnten, die er versuchte, in seinem Teil von Bragor-Nal aufrechtzuerhalten. Melyor wusste, sie sollte lieber zuhören; es wäre wichtig gewesen, zumindest so zu tun, als ob. Aber sie musste einfach den Dolch anstarren und darüber nachdenken, was das alles zu bedeuten hatte.
Er musste wissen, dass es ihrer war, obwohl sie keine Ahnung hatte, warum. Sie konnte sich nicht erinnern, ob er sie je damit gesehen hatte. Erwartete er, dass sie die Waffe zurückverlangen würde? Oder würde das für ihn erst bestätigen, dass sie Savil getötet hatte? Andererseits, wenn er Beweise hatte, dass sie Savil getötet hatte, würde er dann nicht glauben, dass sie ihn zu betrügen versuchte, wenn sie nichts über den Dolch sagte? Und hatte sie nicht schon erwartet, dass Cedrych wusste, dass sie Savil getötet hatte, und war darauf vorbereitet gewesen, es ihm zu sagen, falls er es nicht wusste?
Cedrych liebte solche Spielchen, besonders
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