Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
wenn sie dazu führten, dass sich seine Gegner oder Untergebenen unbehaglich fühlten. Zweifellos hatte er bereits gespürt, wie unsicher Melyor geworden war, und freute sich darüber. Aber das konnte sich auch zu Melyors Vorteil auswirken. Denn sie hatte immer noch ihr Geheimnis - das, was sie Savil verraten hatte, bevor sie ihn tötete. Und falls Cedrych je davon erfahren sollte... sie schauderte. Daran wollte sie lieber nicht denken. Aber es ging hier darum, dass Cedrychs Spielchen - der Dolch auf dem Schreibtisch, seine sexuellen Anspielungen, die sich immer in seine Gespräche mit ihr einschlichen, und die unzähligen anderen Versuche des Oberlords, seine Nal-Lords zu quälen und zu necken - ihr gestatteten, ihre echte Angst davor, entdeckt zu werden, mit dem Unbehagen zu bemänteln, das Cedrych ohnehin bei ihr hervorrufen wollte.
Also riss sie ihre Aufmerksamkeit wieder von der Klinge los und zwang sich zuzuhören. Der Dolch war ein Spiel, eine Ablenkung, die der Oberlord zu seiner eigenen Erheiterung arrangiert hatte. Melyor würde sich noch darum kümmern, bevor sie ging. Irgendwie. Aber zuerst musste sie sich auf Wichtigeres konzentrieren.
»Nachdem Savil nun tot ist, wird es wahrscheinlich einen ausgedehnten blutigen Kampf zwischen denen geben, die ihm als Nal-Lord folgen wollen«, sagte Cedrych gerade und starrte dabei immer noch aus dem Fenster. »Es gibt mindestens sechs, die glauben, den Aufstieg verdient zu haben. Das gehörte zu Savils Talenten, wie davor auch zu Calbyrs: Sie wussten, wie man Leute inspiriert, wie man sie glauben lässt, dass sie selbst eine Chance zum Aufstieg haben. All diese Männer glaubten, dass Savil nach mir Oberlord werden und er dann einen von ihnen zu seinem Nachfolger machen würde. Deshalb waren sie loyal, leicht zufrieden zu stellen und ehrgeizig genug, um gute Arbeit zu leisten. Und es machte Savils Bezirk zu meinem lukrativsten.« Wieder warf Cedrych einen Blick zu Melyor. »Noch lukrativer als der deine, meine Liebe. Wenn auch zugegebenermaßen kein großer Unterschied bestand.« Nun drehte er den Stuhl um, damit er sie direkt ansehen konnte. »Und dieser Strom von Geldern in meine Tasche ist nun unterbrochen. Ich muss einen neuen Mann einbrechen. Oder eine Frau«, fügte er mit einem freudlosen Grinsen hinzu, das nicht lange andauerte. »Das kann einige Zeit dauern, und Zeit ist Geld.« Er sah sie nun mit seinem einen durchdringenden blauen Auge forschend an, wartete wachsam darauf, was ihre Miene ihm verraten würde. »Also«, schloss er dann, »verstehst du sicher, wieso es mich verstören würde zu erfahren, dass es bei Savils Tod nur um einen Konflikt ging, der auch auf andere Art hätte gelöst werden können.«
Cedrych schwieg und sah Melyor erwartungsvoll an, als verlangte das, was er gerade gesagt hatte, nach einer Antwort. Melyors Herz raste wieder; ihre Angst davor, was sie nun tun würde, war gemischt mit der Begeisterung darüber, dass zwei Jahre der Planung nun endlich Früchte trugen. Das ist es, was ich wollte. Also holte sie noch einmal tief Luft, hoffte, dass ihre Stimme ruhig klang, und machte den nächsten Schritt. »Savil war noch aus anderen Gründen wichtig, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht so recht, wovon du da sprichst«, erwiderte der Oberlord scheinbar unschuldig.
Sie verkniff sich ein Lächeln. Sie hätte wissen sollen, dass er es ihr nicht leicht machen würde. »Er sollte die nächste Mission in Tobyn-Ser anfuhren. Du hast ihn ausgewählt, um Calbyrs Nachfolger zu werden. Daher gibt es nun auch in dieser Sache Komplikationen. Nicht wahr?« Cedrych grinste. »Das ist also schon bis in den Vierten Bezirk vorgedrungen?«
»So ist es.« Melyor hielt seinem Blick stand.
Der Oberlord nickte. »Ich verstehe.« Er stand auf und ging ans Fenster, wandte ihr abermals den Rücken zu. »Ja, was du sagst, stimmt. Nach Savils Tod brauche ich auch einen neuen Anführer für die Tobyn-Ser-Initiative.«
Melyor holte abermals tief Luft. Ihr Herz war wie ein Schlaghammer in ihrer Brust. »Vielleicht könnte ich ja aushelfen.«
Bei diesen Worten drehte er sich um, und ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Es war wirklich ein Spiel, das wusste Melyor nun sicher - ein weiteres Spiel in einer manchmal endlos scheinenden Reihe. »Du?«, fragte er amüsiert und interessiert zugleich.
»Ich bin nicht davon überzeugt, dass Savil die beste Wahl für diesen Auftrag darstellte«, wagte sie sich vor. »Er war ein kompetenter Nal-Lord, aber es fehlte ihm an
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