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Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser

Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser

Titel: Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David B. Coe
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Augenblicke in den stillen Stunden vor der Morgendämmerung gestohlen werden mussten. Aber er hatte in dieser Nacht zu viel im Kopf, und daher stand er stattdessen leise auf, wickelte sich in seinen Umhang und ging hinaus in den Wind und die Kälte.
    Der Himmel war klar bis auf ein paar kleine Wolken, die über seinen Kopf hinwegeilten wie Falken auf dem Wind. Ducleas Mond, schon wieder im Abnehmen begriffen, schien hell auf die schneebedeckten Gipfel, die die Siedlung umgaben, und nur die hellsten Sterne wurden nicht von seinem silbrigen Schein überstrahlt. Gwilym bemerkte, dass er seinen Stab vergessen hatte, und überlegte, ob er zurückkehren und ihn holen sollte. Nicht, dass er ihn gebraucht hätte - er war ein Symbol, nichts weiter -, aber er fühlte sich ohne ihn irgendwie unvollständig. Hertha hätte seine Eitelkeit erheiternd gefunden.
    »Seht Gwilym, den Träger des Steins!«, hätte sie mit spöttischem Tonfall, aber stolzem Blick gesagt. »Gwilym, der sich nirgendwo hinbegibt, ohne das Zeichen seiner Würde mitzunehmen.«
    Er lächelte innerlich über seine eigene Dummheit. Es war spät, und außer ihm war niemand wach. Niemand würde ihn ohne den Stab sehen. Und außerdem würde er vielleicht Hertha wecken.
    Also blieb er, wo er war, auf dem kleinen Felsvorsprung vor seinem Zelt, und spähte auf die Gildriiten-Siedlung hinaus, deren Oberhaupt er war. Die anderen Zelte standen ebenfalls unter niedrigen, verkrüppelten Bäumen und Felsvorsprüngen und sahen ganz ähnlich aus wie das seine: klein und aus Tuch und Holz hergestellt, aber fest genug, um selbst dem heftigsten Sturm zu widerstehen, der im Winter durchs Gebirge tobte. Inmitten des Kreises standen die Gemeinschaftsgebäude, die Versammlungshalle und das Rauchhaus, die aus Holz bestanden, und die Waffenkammer, die vollkommen aus Stein gebaut war. Am Rand des Tals zog sich eine Reihe von Wachtürmen entlang, in denen vermutlich die einzigen anderen Menschen innerhalb von Meilen zu finden waren, die zu dieser Zeit wach waren. Und hinter den Zelten, tief im Tal, standen die Herdentiere in dicht gedrängten Gruppen und schützten einander vor der Kälte.
    Gwilym hatte seit Tagen nicht gut geschlafen. Das war an sich für ihn nichts Ungewöhnliches. In schwierigen Zeiten neigte er zum Grübeln. Manchmal vergaß er sogar zu essen - bei seinem Umfang war das keine schlechte Sache - und er verbrachte die Nächte wach auf dem Strohsack neben Hertha oder durchwanderte allein das Tal. Das Seltsame an dieser Nacht war, dass es eigentlich keine schwierigen Zeiten waren. Das Wetter war zwar kalt, aber gut. Der Sommer war schön gewesen und hatte ihnen genügend Vorräte für den Winter geschenkt. Seine Leute waren gesund, seine Familie blühte. Innerhalb der letzten zwei Wochen hatte er Botschaften von Veina, Oswin und den Oberhäuptern der beiden anderen gildriitischen Siedlungen im Dhaalmar erhalten. Alle berichteten so ziemlich das Gleiche: Es ging den Menschen gut, die Ernte war üppig ausgefallen, und niemand in diesen Gemeinschaften hatte irgendwelche Visionen gehabt.
    Auch Gwilym hatte seit Wochen keine mehr gehabt. Überhaupt keine, keine Unheil und keine Glück verheißenden. Das war ein wenig seltsam, aber sicher kein Grund zur Unruhe, nicht genug, um diese Ruhelosigkeit zu erklären. Auch Hertha hatte es ihm beim Abendessen angemerkt. Sie waren allein gewesen; Nelya war nun selbstverständlich in ihrem eigenen Zelt, ihrem und Quims, und Idwal hatte Dienst am Rand. Gwilym und Hertha hatten einige Zeit schweigend zusammengesessen, aber Gwilym war in Gedanken versunken gewesen und hatte nur zerstreut in seinem Rauchfleisch und dem Wurzelgemüse herumgestochert.
    »Das Essen ist schon tot«, hatte Hertha schließlich gesagt, nachdem sie eine halbe Ewigkeit zugesehen hatte, wie er damit spielte. »Ich habe mich davon überzeugt, bevor ich es dir vorgesetzt habe.«
    »Das weiß ich«, hatte er rasch erwidert und zu ihr aufgeblickt. Und als er dann ihr ironisches Grinsen bemerkt hatte, hatte er lachen müssen. »Tut mir Leid, ich bin ein bisschen durcheinander.«
    »Du verbirgst es aber gut«, hatte sie gesagt, und in ihren braunen Augen hatte ein Glitzern gestanden. Dann aber war sie ernst geworden. »Hattest du eine Vision?«, fragte sie besorgt. Er verstand. In einer Gemeinschaft von Menschen, die mit dem Blick gesegnet waren, hatte ein Verhalten wie das seine im Allgemeinen nichts Gutes zu bedeuten. Gwilym hatte den Kopf geschüttelt. »Nein. Keine

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