Die Chroniken von Amarid 03 - Das dunkle Herz von Lon Ser
reicht! Wenn du so etwas noch einmal machst, wirst du noch schlimmere Schläge bekommen! Das schwöre ich in Aricks Namen!«
Baram drückte die Hand an die Nase und starrte dann das Blut an, dass ihm über die Finger lief. Er murmelte etwas Zorniges in seiner eigenen Sprache, kam auf die Beine und ging drohend einen Schritt auf Orris zu. Anizir breitete die Flügel aus und zischte, und Orris richtete den Stab auf Barams Brust. Der Fremde zögerte.
Orris grinste finster. »Du hast schon gesehen, was magisches Feuer anrichten kann, stimmt's?«
Baram funkelte ihn an, die hellen Augen voller Zorn, und das Blut lief ihm weiter aus der Nase in den Bart. Sie starrten einander noch eine Zeit lang an, dann drehte Baram sich schließlich um und murmelte weiter, aber er hatte offenbar begriffen, dass er verloren hatte.
Der Rest der Nacht schien sich unendlich hinzuziehen. Orris hatte Anizir noch einmal auf die Jagd geschickt. Sie kehrte mit einem Hasen zurück, und sobald der gebraten war, bot der Magier dem Fremden etwas davon an, obwohl er nicht wusste, ob Baram das Essen annehmen würde. Er tat es, und die beiden aßen schweigend und wichen den Blicken des anderen aus, beobachteten sich aber weiter über das Feuer hinweg. So ging es auch nach dem Essen weiter, ähnlich wie in den ersten Wochen ihrer Reise. Aber an diesem Abend spürte Orris etwas anderes in ihrer gemeinsamen Wachsamkeit. Zum einen rezitierte Baram nicht. Er saß einfach nur da. Aber vor allem begriff der Falkenmagier, dass ihre Beziehung sich verändert hatte: Er hatte sie verändert. Es war sicher unmöglich gewesen, dass sie jemals hätten Freunde werden können, vielleicht nicht einmal Reisegefährten im üblichen Sinn. Aber bisher war es zwischen ihnen zu keinen offenen Feindseligkeiten gekommen. Bis zu diesem Abend. Indem er zugeschlagen hatte, hatte Orris eine unsichtbare Grenze überschritten; er hatte sie zu Feinden gemacht. Und nun begriff er, dass Baram darauf wartete, dass der Magier einschlief, wahrscheinlich, damit er ihn töten konnte.
Die Nacht wurde ein Wettbewerb des Durchhaltevermögens und der Willenskraft, denn beide strengten sich an, wach zu bleiben, beide warteten darauf, dass der andere einschlief. Selbstverständlich vertraute Orris Anizir bei der Bewachung des Fremden, aber er wusste nicht, ob er schnell genug auf ihre Warnung reagieren könnte, wenn er tief schlief. Beide Männer regten sich kaum. Hin und wieder griff Orris nach einem Stück Holz, um ihr kleines Feuer am Brennen zu halten, aber er wagte es nicht, mehr zu suchen und dem Fremden dadurch die Gelegenheit zu geben zu fliehen oder ihn anzugreifen. Sie beobachteten einander weiter. Und als der Osthimmel schließlich heller wurde, wandten sie sich beide der Sonne zu, die über den Büschen aufging.
Ungelenk und schweigend kamen beide auf die Beine. Orris holte den Beutel mit dem Essen heraus, aß ein paar Stücke Trockenobst und bot den Beutel dann dem Fremden an. Baram beäugte ihn mürrisch, aber er aß etwas und reichte den Beutel dann zurück.
»Ich weiß nicht, wie viel du von dem verstehst, was ich dir sage«, erklärte Orris zwischen zwei Bissen, »aber ich nehme an, es ist mehr, als du verrätst. Also hör mir gut zu: Ich werde mir deine Streiche einfach nicht mehr bieten lassen. Wir müssen endlich weiterkommen; wir haben schon viel zu lange gebraucht. Es ist mir gleich, was es kostet. Es ist mir gleich, ob ich dich bewusstlos schlagen und tragen muss. Wenn ich sage >Beweg dich<, dann wirst du dich bewegen. Keine Verzögerungen, keine Spielchen. Du wirst einfach tun, was ich dir sage. Ist das klar?«
Baram starrte ihn einfach nur an und ließ sich nicht anmerken, ob er ihn verstanden hatte. Aber danach machten sie sich auf den Weg entlang dem Ostufer des Flusses, und den ganzen Tag tat der Fremde, was Orris ihm befahl. Er war nicht glücklich darüber, das war deutlich zu erkennen. Der Ausdruck in seinen wilden grauen Augen blieb trotzig und bitter, und nach dem Frühstück weigerte er sich, noch etwas zu essen. Aber sie legten beinahe sechs Meilen zurück, viel mehr als an den Tagen zuvor. Tatsächlich war Orris so erfreut darüber, dass er sich, als die schrägen Sonnenstrahlen auf das trübe Wasser des Flusses und das niedrige Gebüsch fielen, schon fragte, ob seine Wahrnehmung der Ereignisse am Abend zuvor richtig gewesen war. Gut, er hatte ihre Beziehung verändert, als er den Fremden geschlagen hatte, aber vielleicht hatte er sie zum Besseren
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