Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
Nal hinaus. »Was siehst du da?«, fragte sie ihn in Tobynmir.
»Nichts«, antwortete er, ohne sich umzudrehen. »Für mich sieht das alles gleich aus. Es ist, als starrte ich in den Nebel: Ich versuche, den Blick auf eine Einzelheit zu konzentrieren, aber er geht einfach nur von einem Ding zum nächsten.«
Sie schluckte. Sie wollte die nächste Frage nicht stellen, aber sie hatte keine Wahl. »Wann wirst du abreisen?« Nun sah er sie an, und ihre Blicke begegneten sich für einen Moment, bevor er sich wieder dem Nal zuwandte. »Morgen, denke ich. Vielleicht übermorgen. Ich habe einen weiten Weg vor mir, und ich habe meinen Leuten viel zu erzählen.«
Sie räusperte sich. »Sobald der Rat meinen Antrag akzeptiert hat, werde ich das Nal eine Weile verlassen. Ich will Gwilyms Siedlung finden und seiner Frau erzählen, was passiert ist.« Sie warf ihm einen Seitenblick zu und befeuchtete ihre Lippen, die sich plötzlich trocken anfühlten. »Ich hatte gehofft, du würdest mitkommen.«
Orris holte tief Luft. »Das würde ich gerne tun«, sagte er. »Aber ich habe es eilig, nach Hause zu kommen.«
Melyor nickte. Sie hatte gewusst, was er sagen würde, aber sie hatte es versuchen müssen.
»Ein Teil von mir möchte bleiben, Melyor«, fuhr er zu ihrer Überraschung fort. »Ich hoffe, du weißt das.« Er machte eine kleine, hilflose Geste, die bei einem solch großen, kräftigen Mann seltsam wirkte. »Aber dieser Ort...«E r schüttelte den Kopf. »Es ist einfach zu anders.« Er griff nach oben und streichelte das Gefieder auf dem Rücken seines Falken. »Und Anizir könnte hier nicht lange überleben.«
»Das stimmt«, sagte Melyor. »So, wie sie frisst, werden bald keine Tauben mehr übrig sein.«
Das war nicht sonderlich komisch, aber sie lachten beide. »Darf ich dich wenigstens in meinem Lufttransporter bis zur Landenge bringen?«, fragte sie.
Er zögerte. Er fuhr nicht einmal gern in Landtransportern, und das wusste sie.
»Bitte«, drängte Melyor. »Es ist das Mindeste, was ich tun kann, und es wird deine Rückreise verkürzen. Außerdem ist die Benutzung eines Lufttransporters eines der Vorrechte von Herrschern. Und ich will es versuchen.«
Er holte tief Luft, dann lächelte er. »Also gut.«
»Und es gibt noch etwas, worüber ich mit dir sprechen wollte«, fuhr Melyor fort, trat vom Fenster weg und zwang sich, den Zauberer einfach nur als Geschäftspartner zu betrachten. »Als wir mit Shivohn sprachen, hast du von Handelsbeziehungen zwischen deinem Land und Oerella- Nal gesprochen.«
»Ich sagte ihr, das könnte vielleicht möglich sein«, verbesserte Orris schnell. »Und ich habe versucht ihr klar zu machen, dass es vermutlich Jahre dauern würde, bis es dazu kommt. Es wird lange dauern, bis die Menschen in Tobyn-Ser so etwas auch nur in Erwägung ziehen. Ich habe keinerlei feste Zusagen gemacht.« »Das verstehe ich«, sagte Melyor lächelnd. »Ich möchte nur wissen, ob dieselbe Möglichkeit auch für Bragor-Nal besteht.«
»Ich weiß es nicht, Melyor. Nach allem, was Cedrych unserem Land angetan hat, kann ich dir nichts versprechen.« »Du kannst versprechen, es zu versuchen.«
Orris schwieg eine Weile, aber er starrte sie weiterhin an. Schließlich nickte er. »Gut, ich verspreche, dass ich es versuchen werde.«
»Danke«, murmelte Melyor.
Sie standen noch eine Weile schweigend da, dann wandte sich Orris wieder dem Fenster zu, und Melyor kehrte an den Schreibtisch zurück und machte sich daran, weiter Cedrychs Akten durchzusehen.
Wie Jibb vorhergesagt hatte, wurde Melyor im Lauf des Tages noch von mehreren anderen angesprochen, darunter sechs Nal-Lords und einer Anzahl der erfolgreicheren Gesetzesbrecher von Bragor-Nal. Alle boten ihr ihre Dienste an, und Melyor erkannte, während sie ihnen zuhörte, dass keiner es wirklich ernst meinte. Die Gefahr eines Attentats hatte stets ihr Leben geprägt. Ein Nal-Lord, der das nicht begriff, war entweder dumm oder eine Leiche. Aber Melyor verstand nun, dass sie diese Gefahr als Herrscherin noch ernster nehmen musste als je zuvor. Nun war der Gedanke, dass Jibb weiter für ihre Sicherheit sorgen würde, ausgesprochen tröstlich.
Gleichzeitig fand sie sich allerdings auch in der vertrauten Situation wieder, dass die Einschränkungen, die er ihr auferlegen wollte, sie ärgerten. Er sprach sich heftig dagegen aus, dass sie Gwilyms Siedlung aufsuchte, und wies sie darauf hin, dass eine Wanderung durch unvertrautes, gefährliches Gelände sie ausgesprochen
Weitere Kostenlose Bücher