Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
Durells Amt zusammen. Es war wichtig, dass der Herrscher im Umgang mit seinen Untergebenen von Anfang an klar machte, wer hier das Sagen hatte. Besonders wichtig war das, wenn es um jemanden wie Cedrych ging, der sich nie die Mühe gemacht hatte, seinen Ehrgeiz zu verheimlichen. Und was war besser, um Macht zu demonstrieren, als einen Besucher dazu zu zwingen, für unabsehbar lange Zeit in einem Zimmer zu warten, dessen ruhmreiche Geschichte und ungeheure Ausmaße so einschüchternd sein konnten?
Aber am meisten störte Cedrych, dass Durell diesen Raum ruiniert hatte. Er hatte ihn von einem Ehrfurcht einflößenden Ort zu einem lächerlichen gemacht. Cedrych hatte Bilder des Empfangszimmers gesehen, wie es vor Durells Amtszeit ausgesehen hatte. An den Wänden hatten hervorragende Portraits ehemaliger Herrscher gehangen, gemalt von den größten Künstlern Lon-Sers. Die Türen und Fenster waren von exquisitem hellem Holz gerahmt gewesen, das bestens zu der komplizierten Maserung der alten Eichendielen passte. Und dann gab es da noch das berühmte Kaminsims. Timurs Sims hatte man es genannt, denn der zweite Herrscher des Nal, Bragors Sohn, hatte den Palast zur Erinnerung an seinen Vater errichten lassen. Dieses Sims hatte aus einem einzigen bemerkenswerten rosafarbenen Kristall bestanden und war für buchstäblich tausende von Jahren das bekannteste Stück hier im Palast gewesen. Jeder Herrscher seit Timur hatte vor diesem Sims seine Amtsurkunde entgegengenommen. Hier hatte Dalrek Einars Niederlage offiziell bestätigt, womit die Zeit der Festigung abgeschlossen gewesen war. Nach allem, was Cedrych gehört und gelesen hatte, schien es, dass niemand, der dieses Zimmer betreten hatte, von der Schönheit, Eleganz und machtvollen Atmosphäre unberührt geblieben war.
Zumindest bis zu Durells Amtsantritt als Herrscher. Aus Eitelkeit oder vielleicht auch aus Unsicherheit hatte Dureil alle Portraits durch Gemälde ersetzen lassen, die ihn selbst oder Mitglieder seiner Familie zeigten und die von einem ziemlich mittelmäßigen Künstler stammten, dessen einzige Qualifikation darin bestand, über die körperlichen Mängel des Herrschers hinwegmalen zu können. Durell hatte das Holz rings um Türen und Fenster golden anmalen lassen - »Immerhin ist das hier der Goldpalast«, hatte er damals gesagt. Und was das Schlimmste war, er hatte auf Timurs Sims eine Reihe winziger goldener Figurinen von nackten Frauen in verlockenden Posen aufgestellt und, damit sie ein echter Bestandteil des Simses wurden, zu ihrer Verankerung Löcher in den Kristall bohren lassen.
Cedrych konnte dieses Zimmer nicht betreten, ohne mit den Zähnen zu knirschen, so zornig machte es ihn. Immer, wenn er hier auf Durell wartete, war das eine ganz und gar unerträgliche Zeit; jedes Mal, wenn er auch nur zufällig zu dem Sims hinsah, hatte er das Gefühl, als hätte man die Löcher statt in den Stein direkt in seinen Kopf gebohrt. Seine erste Tat als Herrscher, lange bevor er irgendetwas unternahm, was mit dem Nal selbst zusammenhing, würde darin bestehen, diesem Raum seinen ursprünglichen Glanz wiederzugeben. Die Goldfarbe würde entfernt und die Portraits der Herrscher würden wieder an ihre angestammten Plätze gehängt werden. Und Timurs Sims würde restauriert werden. Er hatte mit einem Bildhauer gesprochen; er wusste, dass es möglich war.
Andere Teile des Palastes mussten ebenfalls umgestaltet werden, darunter auch Durells Arbeitszimmer, dessen Wände derzeit in einem deprimierenden dunklen Kastanienbraun gestrichen waren. Aber als Erstes stand dieses Empfangszimmer auf dem Plan.
Eine Tür am anderen Ende des Raums ging auf, und ein Gardist bedeutete Cedrych mit einer Geste, ihm zu folgen. »Herrscher Durell wird dich jetzt anhören«, verkündete der Mann feierlich.
Anhören?, dachte Cedrych amüsiert. Er hat mich zu sich gerufen. Er verkniff sich ein Lächeln. Er wusste, dieser Satz fiel gegenüber jedem Besucher Durells. Er ging hinter dem Mann her, und dabei bewegte sich seine Hand unwillkürlich zum Oberschenkel, wo er für gewöhnlich seinen Werfer trug. Die Gardisten hatten ihm allerdings die Waffe abgenommen, bevor sie ihn in den Palast gelassen hatten. Auch Durell verfügte über einen Waffenprüfer.
Als Cedrych ins Büro kam, stand der Herrscher an seinem Schreibtisch und betrachtete ein paar Papiere, die dort lagen. Er blickte nicht einmal auf. Aber der Oberlord bemerkte, dass er nicht gut aussah. Durells Bauch war umfangreicher, als
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