Die Chroniken von Amarid 04 - Die Retterin des Landes
als Übung für die Zeit, wenn du einmal Herrscher sein wirst und einen dauerhaften Nachfolger finden musst.«
»Ich werde das nicht zulassen!«
Die Gesichtszüge des Herrschers verhärteten sich. »Du hast in dieser Angelegenheit keine Wahl, Cedrych!«, sagte er kalt. Offenbar hatte der alte Mann immer noch einigen Mumm. »Das nächste Mal solltest du vielleicht besser nachdenken, ehe du es übertreibst.«
»Besser zu übertreiben, als sich vor den Drohungen einer alten Frau zu ducken.«
»Das reicht jetzt, Oberlord!«
Sie standen reglos da und starrten einander an, als warteten beide darauf, dass der andere den nächsten Schritt machte. Nach einiger Zeit bemerkte Cedrych, wie die Entschlossenheit aus dem Blick des Herrschers wich, und er gestattete sich ein Lächeln.
»Du solltest jetzt lieber gehen, Cedrych«, sagte Durell mit leicht zitternder Stimme.
»Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende«, sagte Cedrych leise.
Der Herrscher ging zu seinem Schreibtisch und drückte auf einen kleinen roten Knopf unten am Sprechschirm, ohne Cedrych dabei aus den Augen zu lassen. Ein paar Sekunden später erschienen drei Gardisten an der Tür.
»Du hast gerufen, Herrscher?«, sagte einer von ihnen.
»Ja«, erwiderte Durell mit einem dünnen Lächeln. »Der Oberlord möchte gehen. Würdet ihr ihn bitte hinausbegleiten?«
»Selbstverständlich, Herrscher.«
Die drei Männer in den steifen blauen Uniformen kamen näher. Derjenige, der gesprochen hatte, wies auf die Tür. »Hier entlang, Oberlord.«
Durell und Cedrych starrten einander weiter an. Das Grinsen des Herrschers war verschwunden, und er sah wieder alt, müde und bleich aus. In einer Sache hatte Durell wirklich Recht gehabt: Er war nicht bereit, einen Krieg zu führen. Zu schade, dass er gerade einen begonnen hatte. »Es ist eine Schande, dass du all diese alten Portraits hast wegschaffen lassen, Durell«, sagte Cedrych leise. »Das waren die einzigen Anführer, die der Palast seit Jahren zu sehen bekommen hat.«
Er drehte sich um und wollte gehen, aber kurz bevor er die Tür erreicht hatte, rief Durell ihm hinterher: »Du hast drei Tage, Cedrych! Ich werde dir den Gefallen tun und dich deinen Nachfolger selbst aussuchen lassen, aber wenn du versuchst Zeit zu schinden oder dich mir widersetzt, sehe ich mich gezwungen, deinen Herrschaftsbereich selbst zu übernehmen und ihn zwischen Newell und Wildon aufzuteilen. Hast du mich verstanden?«
Cedrych war auf der Schwelle stehen geblieben, und nun warf er dem älteren Mann über die Schulter hinweg einen Blick zu und lächelte kühl. »Vollkommen, Herrscher, vollkommen. Drei Tage.«
Dann ging er weiter, aber als er an Timurs Sims vorbeikam, wurde er langsamer und sah sich noch einmal die goldenen Scheußlichkeiten an, die man darauf angebracht hatte. »Bitte geh weiter, Oberlord«, sagte einer der Männer streng. »Selbstverständlich«, antwortete Cedrych zerstreut, nachdem er noch einen Moment zu dem Sims hingeschaut hatte. Dann sah er den Gardisten an und grinste. »Das lässt sich alles wieder restaurieren.«
Der Nal-Lord ist hinter ihm, als sie Cedrychs Wohnung betreten, und Baram spürt seine Anwesenheit, als wäre der Mann ein Werfer, den man ihm in den Rücken drückt. Es tut ihm nun Leid, dass er sich hat gefangen nehmen lassen, aber es war ihm damals ganz richtig vorgekommen. Immerhin ist er ein Gesetzesbrecher. Ja, er ist lange weg gewesen, aber bevor er das Land verlassen hat, war er ein Gesetzesbrecher. Er ist länger Gesetzesbrecher gewesen als irgendetwas anderes in seinem Leben. Sogar länger, als er Gefangener war. Aber das Nal hat sich verändert, seit er vor all den Jahren mit Calbyr, Keegan und den anderen von hier weggegangen ist. Die Nal-Lords, die er kannte, sind alle weg. Die Straßen kommen ihm seltsam vor. Nichts scheint mehr so zu sein wie zuvor. Selbst die Kleidung, die Dob ihm gegeben hat, bevor sie die Wohnung des Nal-Lords verließen, um hierher zu kommen, fühlt sich nicht richtig an, obwohl er sich daran erinnern kann, dass er in der Vergangenheit solche Sachen getragen hat. Die Wolljacke, die er anhatte, seit er Tobyn-Ser zusammen mit dem Magier verließ, fehlt ihm irgendwie. Das Einzige, was sich hier nicht verändert hat, ist offenbar, dass Cedrych immer noch Oberlord dieses Herrschaftsbereichs ist. Baram kann sich sehr gut an Cedrych erinnern. Oder genauer gesagt, er erinnert sich an alles, was er je über Cedrych gehört hat, und er hat keine Ahnung, wieso der Nal-Lord ihn
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