Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
dass sie davonlaufen sollen, neckte er sie und quälte ihren Geist mit seinem Lachen. Du solltest sie anflehen, sich zu retten, solange sie es noch können.
Beinahe hätte er laut gelacht. Das würde ihm gefallen. Und das war erst der Anfang, die ersten Schritte auf einem Weg, der ihn schließlich zu Baden und Trahn und Orris führen würde, und selbstverständlich zu Jaryd und Alayna. Aber ich will nichts übereilen, sagte er. All das wird geschehen, wenn die Zeit gekommen ist. Zuerst sind diese beiden dran. Nach elf langen Jahren ist die Rache endlich mein.
Sie konnte nichts tun. Sie konnte nicht einmal schreien. Es war, als hätte Sartol ihren Geist und ihr Herz unter Felsblöcken begraben. Nur, dass sie alles spüren konnte - Schmerz, Trauer, Demütigung. Sie spürte Sartols Lachen wie eine Klinge, die sich in ihre Brust bohrte. Aber sie konnte all dem keinen Ausdruck verleihen. Othba, der einzige Vogel, den sie je gehabt hatte, war tot, ausgelöscht von magischem Feuer aus ihrem eigenen Ceryll. Und sie konnte nicht einmal um ihn weinen.
Du wirst mich nie zum Schweigen bringen, hatte sie behauptet. Du wirst mich nicht besiegen können. Sie hätte über ihre eigene Dummheit gelacht, wenn sie es gekonnt hätte. Sie war zum Schweigen gebracht worden, und sie war besiegt. Von dem Mann, der ihr das Leben gerettet hatte. Sie gehörte nun ihm. Vollkommen. Er befand sich in ihr, vergewaltigte ihren Körper und ihren Geist. Und sie konnte nichts anderes tun, als jedem seiner Befehle zu gehorchen, als wäre sie eine Puppe.
Sartol hatte ihr Leben und ihr Dorf gerettet. Er hatte die Fremden getötet, die ihre Eltern umgebracht hatten. Und das hatte er getan, obwohl sein Begleiter, ein Ordensmagier, versucht hatte, ihn aufzuhalten. Wegen ihm war Tammen eine freie Magierin geworden, sie hatte aus ihrem Hass gegen den Orden etwas Positives gemacht und sich erlaubt, ihren Selbsthass zu überwinden, den sie zunächst empfunden hatte, als sie Magierin geworden war. Alles, was sie heute war, alles, was sie in ihrem Leben erreicht hatte, war diesen drei Menschen zuzuschreiben: Sartol und ihren Eltern, deren Leben er nicht hatte retten können.
Und in einem einzigen Augenblick war es dem Geist des Eulenmeisters gelungen, alles zu zerschmettern, woran sie geglaubt hatte. Er hatte alles, was sie geglaubt hatte, über diese Nacht in Wasserbogen vor elf Jahren zu wissen, über das Schicksal ihrer Eltern, über den Orden und die Fremden, über die Magie und vor allem über sich selbst, mit einem einzigen Schlag zunichte gemacht. Sie wollte ihn zerstören. Sie wollte schreien. Wenn sie sich doch nur das Leben hätte nehmen können, statt zum Werkzeug seiner Eroberung von Tobyn-Ser zu werden!
Nodin und Henryk hatten sie nun beinahe erreicht und betrachteten sie misstrauisch. Sie wollte ihnen eine Warnung zuschreien, wollte ihnen sagen, sie sollten davonlaufen und die Welt wissen lassen, dass Sartol auf dem Weg war. Stattdessen hob sie die Hand zum Gruß.
Wie heißen die beiden?, wollte der Eulenmeister wissen.
Sie versuchte, ihren Geist zu verschließen, und einen Augenblick später verspürte sie quälenden Schmerz, ihr Geist versengt von Feuer. Und sie wusste, dass sie gleichzeitig lächelte.
Widersetz dich mir nicht. Es tut dir nicht gut, und es wird dir nur Leid bringen. Und wie um das zu beweisen, tat er ihr abermals weh, bis sie sich am liebsten die Augen ausgerissen hätte, nur um an den Schmerz zu gelangen. Dann hörte es auf. Nodin und Henryk. Danke. Sie wusste nicht einmal, dass sie es ihm gesagt hatte. »Nodin, Henryk, wie schön, euch wiederzusehen.« »Tammen?«, sagte Nodin und kniff die Augen zusammen. »Bist du das?«
»In gewisser Weise ja.«
»Was hast du mit ihr gemacht?«, fragte Henryk barsch. »Wo ist ihr Falke?«
Er hat sie getötet! Genau wie er euch töten wird! Flieht! Holt Hilfe!
Selbst Sartol konnte sie nicht hören. Sie war nahe genug an Nodin, um nach seiner Hand zu greifen, aber sie hätte genauso gut tausend Meilen entfernt sein können. »Sartol und ich sind jetzt miteinander verbunden«, hörte sie sich sagen. Sie tippte an ihre Schläfe. »Sein Wissen und seine Weisheit befinden sich hier, und sein Wesen ist in dem Ceryll eingeschlossen - seht ihr, wie er sich verändert hat?« Sie wollte unbedingt wissen, wovon Sartol da sprach, und als könnte er ihre Gedanken lesen - oder vielleicht, weil er es für eine weitere Folter für sie hielt -, ließ er sie nach unten blicken und den Stein
Weitere Kostenlose Bücher