Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
anschauen. Er war immer noch blau, beinahe unverändert. Aber in seiner Mitte, wie eine Kerzenflamme in blauem Nebel, war ein Funke gelben
Lichts zu sehen. Sie wollte schreien. Erst Othba und nun ihr Stein. Er hatte ihr wirklich alles genommen.
»Was meinen Falken angeht«, tat Sartol weiter so, als wäre er Tammen, »es geht ihr gut. Sie hat mich verlassen. Obwohl Sartol und ich zwei sind, können wir uns, solange wir verbunden sind, nur an einen Vogel binden. Also haben wir Othba gehen lassen.«
Nodin und Henryk wechselten einen Blick.
»Nun«, sagte sie vergnügt, »wohin gehen wir jetzt? Wir haben Sartol auf unserer Seite; was sollen wir tun?« »Nein«, sagte Henryk tonlos. »Wir gehen nirgendwohin. Ich glaube dir nicht. Ich sehe Sartols Licht in deinen Augen, Sartols Vogel auf deiner Schulter, Sartols Ceryllfarbe in deinem Stein. Und du willst mich glauben machen, dass du immer noch nur Tammen bist? Vergiss es. Es wird nicht funktionieren. Und jetzt sag mir, was du mit ihr gemacht hast.«
Sie zuckte die Achseln. »Also gut«, sagte Sartol gelangweilt. »Es wäre einfacher gewesen, wenn ihr beiden mit mir gekommen wärt. Aber ich werde es auch allein schaffen.« Tammen spürte, wie sie den Stab hob, und sofort traf eine Salve magischen Feuers, gelb und blau miteinander verbunden wie Bänder im Haar eines kleinen Mädchens, Henryk in die Brust und warf ihn zu Boden. Tammen wusste ohne hinzusehen, dass er tot war.
Nodin schrie auf und riss seinen Ceryll hoch. Ohne jegliche Anstrengung errichtete Sartol einen Schild der Macht, der blau und gelb schimmerte wie das Meer in der Mittagssonne. Aber Nodin wehrte sich nicht. Er hatte Tränen in den Augen. Tammen wusste, er sah immer noch sie, Tammen, vor sich, und nicht Sartol. Und er liebte sie.
Also drehte sich der Magier stattdessen um, um zu fliehen, und sein grauer Vogel flatterte in die Luft. Und vollkommen lässig, als hätte sie alle Zeit der Welt, richtete Tammen unter Sartols Führung ihren Stab auf das Geschöpf und tötete den Vogel mit einem zweiten Blitz magischen Feuers.
»Wo hast du dich an deinen ersten Vogel gebunden, Nodin?«, hörte sie sich rufen. »Wo wirst du die Ewigkeit verbringen?«
Nodin rannte, so schnell er konnte, auf den Fluss zu, aber der Weg war weit, und es gab keine Möglichkeit, Deckung zu suchen.
Tammen war hilflos, und sie glaubte, den Verstand zu verlieren. Sie war nie in Nodin verliebt gewesen. Sie wussten das beide, und es war für ihn eine Quelle großen Schmerzes gewesen. Aber nun begriff sie, dass sie ihn auf ihre eigene Weise doch geliebt hatte, und in diesem Augenblick hätte sie gerne ihr Leben gegeben, um seines zu retten. Zum dritten Mal zwang Sartol sie, den Stab zu heben. Tammen versuchte, die Augen zu schließen, und als das nicht ging, schloss sie ihren Geist gegenüber dem ab, was sie tun sollte. Aber selbst dieser Trost wurde ihr verweigert. Ein dritter Blitz magischen Feuers ging von ihrem Ceryll aus, traf Nodin in den Rücken und riss ihn in einem Flammenwirbel zu Boden. Das Letzte, was Tammen sah, bevor Sartol sich umdrehte und begann, nach Osten auf Tobyns Wald zuzugehen, war Nodin, der sich wie ein Fisch auf dem Trockenen hin und her warf und versuchte, die Flammen zu löschen, die seinen Umhang und sein Haar verzehrten.
Du fragst dich vielleicht, wo wir hingehen, sagte Sartol unterwegs zu ihr, und seine Worte trafen ihren Geist wie Sturmböen. Wir sind auf dem Weg nach Amarid. Dort sind ein paar Leute, die ich schon seit vielen Jahren töten möchte, und dort gibt es einen Stein, der mir einmal beinahe gehört hätte. Es ist an der Zeit, dass ich ihn mir hole.
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N achdem ich genügend Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe, um dafür zu sorgen, dass unsere Korrespondenz geheim bleibt, kann ich dir nun sagen, was in den letzten Tagen hier geschehen ist. Shivohns Nachfolgerin als Herrscherin von Oerella-Nal ist die ehemalige Legatin Wiercia. Du erinnerst dich vielleicht an sie - sie ist diese recht streng aussehende Frau, die uns damals aus dem Gefängnis zu Shivohns Palast gebracht hat. Wiercia und ich hatten einen schwierigen Start, und ich fürchte um die Allianz zwischen unseren Nals. Zum größten Teil kommen diese Spannungen von den Umständen ihres Aufstiegs zur Macht und den erfolgreichen Anstrengungen von Shivohns Mörder, es so darzustellen, als wäre Bragor-Nal für den Tod der Herrscherin verantwortlich.
Ich habe schon die ganze Zeit geglaubt, dass Marar, Herrscher von Stib-Nal, sowohl
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