Die Chroniken von Amarid 05 - Der Adlerweise
sehen, aber Sartols geisterhafter Vogel saß auf ihrer Schulter, als hätte er sich sein ganzes Leben lang dort befunden.
Er hatte gewusst, dass sie kommen würden. Mit jedem Tag, der in seinem Gefängnis aus Licht verging, war diese Überzeugung gewachsen, bis das Gefühl so intensiv geworden war, dass die Stunden zwischen Morgen- und Abenddämmerung beinahe unerträglich wurden. Er hatte verfolgt, wie sie nach ihrem Gespräch mit Peredur Tobyns Wald durchquert hatten, und er hatte ihnen innerlich zugeschrien, sie sollten sich beeilen. Sein unendlich langes Warten sollte ein Ende finden, und dennoch zogen sich diese letzten paar Tage langsamer dahin als die vorangegangenen elf Jahre.
Aus den vagen Bildern, die er gesehen hatte, und den Fragmenten von Gesprächen, die ihn durch das Netz aus Gedanken erreichten, das die Unbehausten miteinander verband, hatte er erfahren, dass diese drei jungen Leute freie Magier waren und dass sie Hilfe für ihre Volksbewegung suchten. Aber erst als sie die Nordebene erreichten, erkannte er, dass sich eine Frau in der Gruppe befand. Und erst als sie mit ihm sprach, hatte er begriffen, dass sie diejenige war.
Es war wie ein unerwartetes Geschenk. Eine Frau würde viel weniger Verdacht erregen als ein Mann; sie würde ihm gestatten, seinen Plan viel weiter zu verfolgen, bevor er sich verriet, indem er seine Macht benutzte. Dass die Frau aus Wasserbogen stammte, kam ihm beinahe wie unglaubliches Glück vor. Dass sie ausgesprochen attraktiv war, machte die Aussicht auf das, was kommen sollte, noch verlockender. Hätte er es nicht besser gewusst, dann hätte er geschworen, dass die Götter auf seiner Seite standen.
Ihre Begleiter waren ein Störfaktor, aber nicht mehr. Unter anderen Umständen hätte es ihn alarmiert, dass sie sich so abrupt wieder von ihm abgewandt hatten. Aber diese Frau - Tammen - hatte sich schon lange entschlossen. Vor langer Zeit hatte er ihr das Leben gerettet, und an diesem Abend hatte er mit seinen sorgfältig eingesetzten Halbwahrheiten und bescheidenen Lügen ihr Vertrauen gewonnen. Er hatte die Volksbewegung schon seit einiger Zeit beobachtet, allerdings nur, weil er sie als Mittel zu seinen eigenen Zwecken verwenden wollte. Die Einschränkungen, die ihm durch Therons Fluch auferlegt waren, verlangten, dass er ihren Ceryll benutzte, wenn auch nicht so, wie sie glaubte, und nicht, damit er ihr helfen konnte, gegen die Hüter und die anderen Magier im Land zu kämpfen. Und er hätte ihre Cerylle tatsächlich jederzeit benutzen können, aber nur, um sie auf der Stelle zu töten. Um sich den Zugang verschaffen zu können, den er brauchte, benötigte er ihre Zustimmung.
Aber sie glaubte ihm, oder genauer gesagt, sie glaubte an ihn, und nichts, was ihre Begleiter sagen konnten, hätte sie davon abbringen können. Er musste ihr einfach nur die Gelegenheit geben, sich ihm auszuliefern. Also folgte er ihr, selbstverständlich in gewisser Entfernung. Er war nicht dumm. Aber er folgte ihr, und bald schon sah er, dass sie wieder auf ihn zukam, mit grimmig entschlossenem Blick. Sie wurde langsamer, als sie ihn näher kommen sah, und schien ein wenig ins Wanken zu geraten.
Er lächelte und hob die Hand zum Gruß. »Ich hatte gehofft, dass du zurückkommen würdest.« Er runzelte die Stirn. »Wo sind deine Freunde?«
»Sie kommen nicht«, erklärte sie mit bebender Stimme. »Das tut mir Leid. Ich hoffe, ich habe niemanden beleidigt.« Er blieb vor ihr stehen. Ihr hellbraunes Haar wehte leicht im Wind, und ihre Augen glitzerten in seinem geisterhaften Schimmer. Sie war wirklich eine recht schöne Frau. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück, als erwartete sie, dass die anderen jeden Augenblick am Horizont auftauchten. »Nein, Eulenmeister, das hast du nicht getan«, sagte sie schließlich, sah ihn wieder an und holte tief Luft. »Sie sind... sie sind einfach nicht sicher, ob wir dir trauen können.«
»Ich verstehe. Und was ist mit dir?«
Sie zuckte die Achseln und versuchte zu lächeln. »Ich bin hier.«
»In der Tat.«
»Und was machen wir jetzt?«
Er musste sich anstrengen, um nicht loszulachen. Elf Jahre lang hatte er darauf gewartet. Elf Jahre der Isolation und dieses unerträglichen Lichts. »Es ist eigentlich ganz einfach. Wenn du bereit bist, werde ich meine Hände auf deinen Ceryll legen, und damit platziere ich mein Wesen, meine ganze Existenz als reine Magie, in diesem Stein.« Das entsprach zum Teil der Wahrheit - tatsächlich plante er,
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