Die Chroniken von Amarid 06 - Der Friede von Lon-Tobyn
Kontinuität und Vertrautheit entsteht. Aus diesem Grund und in Übereinstimmung mit den Verfahren, die der Vertrag vom Sternenkap von 2802 festlegt, bitte ich hiermit in aller Form den Herrscherrat von Lon- Ser, meinen Anspruch auf die Position eines Herrschers von Bragor-Nal anzuerkennen und mich in seine Reihen aufzunehmen.
Offizieller Antrag zur Aufnahme in den Herrscherrat, eingereicht von Dobir i Waarin, Oberlord des Ersten Herrschaftsbereichs von Bragor-Nal, Tag 1, Woche 8, Frühling 3068
Wiercia war immer noch nicht sicher, wieso sie überhaupt zugestimmt hatte. Marar hatte sie bereits einmal hinters Licht geführt, und es kam ihr recht wahrscheinlich vor, dass ihre Gutgläubigkeit in diesem Fall Melyor das Leben gekostet hatte. Und dennoch war sie hier, nur Tage nach dem Tod der Herrscherin von Bragor-Nal, und hatte sich bereit erklärt, mit Dob, dem künftigen Herrscher, zu sprechen. Sie wusste wenig über ihn, nur dass er Oberlord war und ebenso wie Melyor auf eine Vergangenheit als Gesetzesbrecher zurückblickte.
Und das war vielleicht das Problem. Sie hatte Melyor bitter enttäuscht und sich von Marar dazu bringen lassen, die Freundschaft zu verraten, die sie und die Gildriitin gerade geschlossen hatten. In gewissem Sinn war dieses Treffen mit Dob für sie eine nachträgliche Bitte um Verzeihung. Leider kam die Geste erheblich zu spät.
Dob hatte vorgeschlagen, dass sie sich in der alten Residenz der Monarchen am Herrscherkap treffen sollten, wo sich der Herrscherrat für gewöhnlich zusammensetzte. Das war nach Wiercias Ansicht ziemlich dreist von ihm. Sein Antrag auf Zulassung zum Rat war noch nicht anerkannt, und er lud sie bereits zu einer Geheimbesprechung ein, als wäre er seit Jahren Ratsmitglied. Aber im Grunde war es genau diese Dreistigkeit, die sie überzeugt hatte. Offensichtlich hatte er etwas sehr Wichtiges zu sagen, und angesichts dessen, was sie nun über Marar wusste, musste Wiercia unbedingt herausfinden, um was es ging.
Aber als der Lufttransporter sich nun der alten Residenz näherte, fragte sich die Herrscherin ernsthaft, ob es richtig war, was sie hier tat. Was, wenn Dob glaubte, dass sie irgendwie für Melyors Tod verantwortlich war? Und was, wenn er einfach nur vorhatte, Oerella-Nal ins Chaos zu stürzen und dann einzumarschieren? Sie wusste nichts über ihn, zumindest nichts Wichtiges. Was, wenn er ihr eine Falle gestellt hatte?
Shivohn hätte bei solchen Gedanken den Kopf geschüttelt. »Für misstrauische Menschen ist die Welt ein sehr einsamer Ort«, hatte sie Wiercia einmal gesagt, als diese - damals noch als Legatin - ihre Zweifel an Melyor zum Ausdruck gebracht hatte. »Wenn du immer nur nach Feinden suchst, wirst du niemals Freunde finden.«
Aber Shivohn war jetzt tot, umgebracht von einer Attentäterin, der sie gestattet hatte, ihr zu nahe zu kommen. Wiercia fuhr sich mit der Hand über die Stirn und schüttelte den Kopf. Sie war kein vertrauensvoller Mensch, das war sie nie gewesen. Und die letzten Ereignisse hatten sie wieder einmal daran erinnert, warum das so war: Sie war keine gute Menschenkennerin. Sie hatte Melyor misstraut, weil sie die gildriitischen Kräfte der Frau fürchtete und nicht vergessen konnte, dass die Herrscherin von Bragor-Nal einmal eine Gesetzesbrecherin gewesen war. Und dennoch hatte sie beinahe einer Allianz mit Marar zugestimmt, von dem sie nun glaubte, dass er hinter Melyors Tod steckte und der wahrscheinlich auch für den Mord an Shivohn verantwortlich gewesen war.
»Wir werden in ein paar Minuten in der Residenz sein, Herrscherin«, informierte sie der Transporterpilot.
Sie hätte ihn beinahe angewiesen, den Transporter zu wenden und sie wieder zurück zum Palast zu bringen. Tatsächlich hatte sie schon den Finger am Knopf der Sprechanlage. Dann hielt sie inne.
Wenn du immer nur nach Feinden suchst ...
Sie drückte den Knopf tatsächlich, aber nur, um dem Piloten zu danken.
Der Transporter landete kurze Zeit später, und Wiercia sah, dass der Lufttransporter des Herrschers von Bragor-Nal
bereits dort war. Sie lächelte. Zumindest war der Mann seinen eigenen Leuten gegenüber ebenso unverschämt wie zu ihr.
Sie ließ sich Zeit dabei, den Transporter zu verlassen und zur Residenz zu gehen. Dob hatte vielleicht die Besprechung einberufen, aber sie war hier die einzige wahre Herrscherin, und sie war entschlossen, ihm das klar zu machen. Sie hatte auch eine ungewöhnlich große Anzahl von Wachen mitgebracht, zusammen mit den
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