Die Chroniken von Araluen - Der Krieger der Nacht: Band 5 (German Edition)
dagegen. Es bestand die Gefahr, dass er etwas auf das Fensterbrett oder den Sims tropfte, und das wollte er unter allen Umständen vermeiden.
Sie konnten nichts anderes tun, als zu warten. Er stöpselte die Flasche wieder zu und reichte sie Alyss durch die Gitterstäbe. »Hier. Versteck das irgendwo«, bat er sie.
Er hatte keine Lust, mit diesem Zeug in seiner Tasche den Abstieg zu wagen. Geistesabwesend schob Alyss das Fläschchen auf den Steinsims oberhalb des Fensters.
»Was ich überhaupt nicht verstehe«, fuhr Will fort, um sie von der bevorstehenden Kletterpartie abzulenken, »wie kommt dieser verdammte John Buttle auf einmal hierher? Inzwischen sollte er doch mit dem Wolfsschiff auf Skorghijl sein.«
»Das Wolfsschiff kam in Seenot«, antwortete Alyss. Buttle hatte vor ihr damit angegeben, ehe Keren sie in die Turmzelle gebracht hatte. »Sie wurden von einem Sturm erwischt. Er trieb sie nach Westen und sie liefen auf ein Riff nahe der Küste auf. Das Schiff hatte ein Leck und sie schafften es gerade noch an Land. Sie fuhren den Fluss Oosel hinauf, um sich den Winter über dort zu verstecken. Doch als sie dachten, das Schiff würde sinken, hatten sie Buttle losgebunden, damit er überleben konnte.«
»Ich nehme an, er hat sich für diese Freundlichkeit auf seine Weise bedankt«, sagte Will.
Alyss nickte. »Sie waren alle erschöpft, als sie Land erreicht hatten. Er tötete zwei Wachen und floh. Dass er hierherkam, war reiner Zufall.«
»Und er stellte fest, dass er bestens hierher passte«, sagte Will.
Alyss nickte.
»Schon komisch«, fuhr Will fort, »dass Leute wie Buttle und Keren einander stets finden …« Er hielt mitten im Satz inne, denn Alyss hatte die Hand gehoben. Er schaute sie an und sah, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich. Sie hörten, wie die Tür zum Vorraum geöffnet und geschlossen wurde, und dann Kerens Stimme, als er mit den Wachen sprach.
»Es ist Keren!«, flüsterte Alyss. »Will, du musst hier weg! Sofort!«
Sie fasste das Seil und schob es durch die Gitterstäbe, sodass es ganz nach unten aufs Pflaster fiel.
Will rüttelte verzweifelt an dem ersten Stab. Die Eisenstange ließ sich aber immer noch nicht entfernen.
»Geh!«, wiederholte Alyss verzweifelt. »Wenn er dich entdeckt, tötet er uns beide.«
Will sah ein, dass sie recht hatte. Auf diesem schmalen Sims konnte er sich gegen Keren und die Wachen wohl kaum zur Wehr setzen. Und wenn er entkam, hätte er zumindest die Möglichkeit für einen neuerlichen Rettungsversuch.
Aus dem Vorraum drang Gelächter. Alyss’ Augen wurden groß, als sie hörte, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde. »Alyss«, sagte Will drängend.
Sie sah ihn voller Angst an.
»Wenn er dich befragt, sag ihm einfach alles, was er wissen will. Es kann uns jetzt nicht mehr schaden. Beantworte einfach seine Fragen.«
Sie kann ja schließlich meine Pläne nicht enthüllen, denn ich habe ja keine, dachte Will bitter. Aber sie sollte wenigstens nicht darunter leiden, dass sie Dinge preisgab, die Keren vermutlich schon erraten hatte.
»In Ordnung!«, sagte sie.
»Versprich es mir!«
Alyss war jetzt fast panisch, aber sie wusste, Will würde nicht gehen, bevor sie es nicht versprochen hätte. »Ich verspreche es! Jetzt geh! Sofort!«
Er fädelte das Seil zwischen die Beine, denn Rücken hinauf und über die rechte Schulter. Schnell zog er noch seine Handschuhe an und machte sich bereit.
Alyss dreht sich fast der Magen um, als Will sich rückwärts nach unten fallen ließ und seine Geschwindigkeit nur mit der Seilschlinge um den Körper lenkte, während er sich mit den Füßen an der Mauer abfederte.
»Ich komme zurück, um dich zu holen«, rief er leise und begann seinen Abstieg. Die Versuchung, so schnell wie möglich nach unten zu kommen, war groß, doch er wusste, dass schnelle Bewegungen viel eher die Aufmerksamkeit der Wachen erregen würden.
Alyss legte die Finger auf die Lippen und warf ihm einen Kuss zu. Rasch trat sie dann zurück und zog den Vorhang vor. Sie musste verhindern, dass Keren das Seil entdeckte. Wenn Will mitten im Abstieg erwischt wurde, war das sein sicherer Tod.
A lyss hatte es gerade noch an den Tisch geschafft, als die Tür auch schon geöffnet wurde und Keren eintrat. Als er die Tür hinter sich schloss, holte sie tief Luft und zwang sich zur Ruhe. Mit aller Willenskraft, die sie aufbrachte, sah sie ihn selbstbewusst an.
»Tja, da bin ich wieder«, verkündete Keren. Er lächelte sie fröhlich an und
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