Die Chroniken von Araluen - Der Krieger der Nacht: Band 5 (German Edition)
missachtete den eisigen Blick, mit dem sie ihn musterte. Plötzlich runzelte er die Stirn und schnupperte in der Luft.
»Meine Güte, was ist das für ein furchtbarer Geruch? Habt Ihr irgendetwas verbrannt?«
Alyss überlegte blitzschnell. Sie hatte sich an den durchdringenden Geruch der Säure bereits gewöhnt, aber er hing offensichtlich immer noch in der Luft. Kerens Frage brachte sie allerdings auf eine Idee.
Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Einige Dokumente. Ich dachte, es ist besser, wenn Ihr nicht erfahrt, was darin steht.«
Keren betrachtete sie nachdenklich. »Ach ja?«, meinte er, etwas weniger fröhlich als vorher. »Ich hätte Euch wohl durchsuchen sollen. Das ist also der Lohn, wenn
man ein Ehrenmann ist – Ihr versucht, mich zu betrügen.« Er griff in die Tasche an seinem Gürtel. »Aber Ihr scheint zu vergessen, dass mein kleiner blauer Freund hier Euch dazu bringen kann, mir alles zu verraten, was darin stand.«
Alyss’ Herz schlug schneller, als er den blauen Stein herausholte. Trotz allem verspürte sie den überwältigenden Drang, den Stein anzusehen. Sie konnte ihre Augen nur mit unglaublicher Anstrengung davon abwenden.
»Und Ihr scheint zu vergessen«, sagte sie und ahmte Kerens Tonfall nach, »dass ich es das letzte Mal geschafft habe, mich seinem Bann zu entziehen.«
Keren saß auf einem der Stühle, ein Bein über das andere gekreuzt, und spielte mit dem Stein in der Hand. Er lächelte sie amüsiert an.
»Wohl wahr, aber habe ich Euch nicht auch erzählt, dass es das zweite Mal viel einfacher wäre?«
Alyss drehte ihm den Rücken zu und ging Richtung Tür, damit sein Blick auf keinen Fall auf den Vorhang fiel. Sie war sich nicht sicher, aber sie meinte, ein gelegentliches Ächzen des dort angebundenen Seils zu hören.
»Eure billigen Zaubereien beeindrucken mich nicht«, sagte sie abfällig. »Das sind alles nur Tricks und Täuschungen, und ich weiß, wie ich dem begegnen muss.«
Keren nickte betont geduldig. »Ich bin sicher, das könntet Ihr, wenn es tatsächlich Zauberei wäre. Doch dies ist etwas ganz anderes. Dies ist eine Beherrschung des Geistes. Der Stein ist lediglich ein Hilfsmittel. Er entspannt Euch und hilft mir, Euch zu beherrschen.«
Alyss lachte zornig, obwohl sie tief besorgt war über
das, was er ihr gerade gesagt hatte. Sie befürchtete, dass sie dem nichts entgegenzusetzen hatte. Trotzdem musste sie das Spiel so lange wie möglich mitspielen, musste es hinauszögern, um Will mehr Zeit zu verschaffen.
»Und nun, nachdem Ihr es mir verraten habt, werde ich darauf achten, dass ich der Versuchung, mich zu entspannen, widerstehe«, sagte sie.
Keren schüttelte gelassen den Kopf. »Möglicherweise könntet Ihr das tun, wenn Ihr den Zweck des Steines vorher gekannt hättet. Doch Ihr wart ihm bereits verfallen. Und durch diese erste Beherrschung Eures Geistes wurde etwas geschaffen, was ich als entrücktes Gedächtnis bezeichne.«
Alyss verdrehte die Augen. »Oh, wie furchteinflößend«, höhnte sie. Doch innerlich zweifelte sie daran, dass sie widerstehen könnte.
»Gar nicht furchteinflößend, lediglich nützlich«, sagte Keren in verständnisvollem Ton. »Ihr werdet sehen, während Euer Geist von mir beherrscht wird, kann ich eine Erinnerung in Euer Unterbewusstsein einpflanzen, die es mir erlauben wird, Euch immer wieder zu beherrschen. Alles, was ich tun muss, ist, auf das zu sprechen zu kommen, worüber wir zuletzt geredet haben.«
»Ich bin sicher, es war ziemlich langweilig«, sagte sie sarkastisch. Doch die Furcht in ihr wuchs mit jedem Wort, das er sprach.
Keren lächelte sie weiter an. Er bewunderte ihren Mut und ihren Kampfgeist. Doch er konnte es sich auch leisten, ihn zu bewundern, denn er wusste schließlich, dass er sie nach Belieben beeinflussen konnte. Er hielt
den Stein vor ihr hoch. Schnell drehte sie das Gesicht weg.
»Ich denke … wir haben über Euren Freund Will und seinen wahren Beruf gesprochen. Ist es nicht so?«
Gegen ihren Willen fühlte Alyss, wie etwas in ihrem Geist nachgab und ihre Augen unnachgiebig von dem schimmernden blauen Stein angezogen wurden, den er hochhielt. Er pulsierte und sein kühles blaues Licht schien sie in sich hineinzuziehen. Sie machte sogar einen Schritt auf ihn zu.
»Will ist Waldläufer«, sagte sie. Ein Teil ihres Verstandes kämpfte gegen sich selbst, war jedoch unfähig zu verhindern, dass die Worte aus ihrem Mund kamen. Alyss verspürte einen Widerwillen gegen sich selbst,
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