Die Chroniken von Araluen - Der Krieger der Nacht: Band 5 (German Edition)
dem Fenster sähe, würde der Anblick eines Gesichts auf jeden Fall dazu führen, dass Alarm ausgelöst würde.
Der eiskalte Wind verstärkte die Kälte und ließ seine Hände zunehmend gefühllos werden. Das machte Will Sorgen. Er brauchte das Gefühl in den Händen, um die sichersten Spalten und Vorsprünge im Stein auszusuchen. Wenn er sie nicht ausreichend fühlen konnte, bestand immer die Möglichkeit, dass er sich an einem lockeren Stein festhielt, der nachgäbe, wenn er sein ganzes Gewicht darauf verlagerte. Will schüttelte den Kopf. Es gab leider nichts, was er gegen die Kälte tun konnte, und er hatte sowieso schon drei Viertel des Weges hinter sich. Er blickte einen kurzen Moment zur Seite auf das schneebedeckte Land. Einige Meilen weiter konnte er die dunklen Umrisse von Grimsdellwald erkennen. Wäre Will nur aus Spaß geklettert, hätte er sicher innegehalten, um diese wunderbare Aussicht zu bewundern. Er lächelte wehmütig. Es war lange her, seit er aus reinem Spaß geklettert war.
Ein Blick nach oben zeigte ihm, dass der schmale Sims um die Turmspitze nicht mehr weit entfernt war. Will brachte das restliche Stück hinter sich und griff vorsichtig nach oben. Man wusste nie, was man auf einem Sims vorfand. Manche Burgbewohner brachten scharfe eiserne Spitzen an, um Kletterer abzuschrecken.
Auf diesem Sims befanden sich keine Eisenspitzen, aber Will runzelte die Stirn, als er die kalte Oberfläche berührte. Das ist Eis, dachte er. Regenwasser hatte sich auf dem Sims gesammelt und war gefroren. Das würde die Sache schwieriger machen. Die meisten Kletterer hätten jetzt wohl erleichtert nach dem Sims gegriffen und ihr Gewicht dabei auf die Hände verlagert. Wenn der Sims jedoch von Eis überzogen war, konnte das böse
enden. Will ließ das Hauptgewicht auf seinen Füßen, während er nach einer Stelle suchte, die frei von Eis war, um sich festhalten zu können. Seine Zehen verkrampften sich, und er spürte, wie sich auch in seinem Fuß ein Krampf bildete. Endlich fand er mit der rechten Hand eine eisfreie Stelle und zog sich etwas höher, während sein linker Fuß nach einem neuen Halt suchte. Drei von vier, wiederholte er für sich. Er tastete mit der linken Hand auf dem Sims, schob sie vor und zurück, bis er eine eisfreie Stelle fand. Dann kam sein rechter Fuß nach oben. Jetzt war er in der Lage, sich auf den Sims hochzuziehen. Er drehte sich vorsichtig, um sich darauf zu setzen, den Rücken an die Mauer hinter sich gepresst. Als er sich zurücklehnte, merkte er, dass etwas in seinen Rücken drückte. Er bekam einen Riesenschreck, als ihm die Flasche mit Säure einfiel. So eingehüllt in seinen Umhang, wie er jetzt war, könnte er sie unmöglich rechtzeitig loswerden, falls sie zerbrach. Er beugte sich etwas vor, weg von der Mauer, und zählte die Sekunden. Zehn. Fünfzehn. Zwanzig. Eine volle Minute war vergangen, und er spürte keine Säure, die sich durch seine Haut fraß. Erleichtert atmete er tief auf.
Und wo ist nun Alyss?, fragte er sich.
Wie bei der Ringmauer war er auch am Turm nicht schnurgerade hochgeklettert, sondern eher im Zickzack, da er immer nach den besten Griffmöglichkeiten gesucht hatte. Als er nun nach rechts blickte, sah er, dass das Fenster, hinter dem er Alyss vermutete, etwa zehn Fuß entfernt war. Er rutschte mit nach unten baumelnden Beinen seitlich den Sims entlang darauf zu und stellte
dabei fest, dass sich wirklich sehr viel Eis auf dem schmalen Sims befand. Das würde es ihm erschweren, sich hinzustellen, um ins Fenster zu sehen. Zumindest konnte er sich an den Gitterstäben festhalten.
Er hielt inne, als er am Fenster angekommen war. Das Fensterbrett befand sich etwas oberhalb seines Kopfes. Mit der rechten Hand griff er nach oben, tastete den Fenstersims entlang, dann hatte er einen der Gitterstäbe in der Hand.
Wenn der Raum jemand anderes als Alyss beherbergte, konnte das gefährlich werden. Seine Hand wäre von jedem, der zum Fenster schaute, zu sehen.
Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht nach rechts und brachte seinen linken Fuß hoch auf den Sims. Sein Gewicht wurde jetzt beinahe ganz von seiner rechten Hand gehalten, und da es hinter den Turmmauern keinen entsetzten Aufschrei gegeben hatte, nahm er an, dass niemand ihn entdeckt hatte.
Will bekam einen Schreck, als er merkte, wie sein Fuß plötzlich seitlich auf dem Eis abrutschte, und streckte den linken Arm aus, um sich auch mit dieser Hand an einem Gitterstab festzuhalten. Und gerade noch
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