Die Chroniken von Araluen - Die Schwertkämpfer von Nihon-Ja
Wangen.
»Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen?«, schlug er vor.
»Ihr könnt das gerne tun«, sagte Evanlyn, den Blick fest auf Alyss gerichtet. »Ich bin noch nicht fertig.«
Alyss lächelte. Es war allerdings ein Lächeln ohne eine Spur von Humor. »Tja, ich auch nicht«, antwortete sie liebenswürdig.
Es gab eine lange Pause, dann akzeptierte Selethen das Unvermeidliche mit einem vielsagenden Schulterzucken.
»Also gut, dann … meine Damen.« Er blickte zu Walt und verdrehte beim letzten Wort die Augen. Walt nickte ernst. »In Position …«
Selethen bemerkte sofort, dass Evanlyns Haltung diesmal korrekt war. Vielleicht lernt sie ja wirklich etwas und beginnt den Kampf nicht mehr so übereilt, dachte er. Und vielleicht springt der Große Blaue Wal, von dem die Nordländer glauben, dass er Ebbe und Flut verursacht, aus dem Meer und bekommt Flügel.
»Und los!«, sagte er matt.
Evanlyn schnellte los wie ein Pfeil von der Sehne. Sie machte einen Satz über das Deck und brachte eine Reihe schneller Dachschläge an – Rückhand, Vorhand und wieder Rückhand. Die Schläge waren etwas unbeholfen, aber ihre Geschwindigkeit glich das wieder aus. Alyss, die erneut einen langen Schlag erwartet hatte, war gezwungen zurückzuweichen und die Schläge abzuwehren.
Ein leises Murmeln der Ermutigung kam vonseiten der Nordländer, die Evanlyn unterstützten. Was vielleicht auch daran lag, dass die Wetten drei zu eins standen.
Aber dann wurde Evanlyn ihre Impulsivität zum Verhängnis. Sie bemerkte nicht, dass Alyss ihren eigenen Rhythmus wiedergefunden hatte und die Attacken erfolgreich abwehrte, und brachte einen Schlag zu viel an. Alyss lenkte Evanlyns letzten Schlag zur Seite ab und vollführte einen Gegenangriff mit einer weiteren Rückhand.
Diesmal traf ihr Schwert Evanlyns Ellbogen.
»Auaaa!«, kreischte Evanlyn. »Du blöde Riesenkuh!«
Das Schwert fiel aufs Deck. Evanlyns Arm wurde taub und kribbelte. Ob absichtlich oder unabsichtlich – Alyss’ Gegenschlag hatte genau den Nerv am Ellbogen getroffen.
»Alyss!«, rief Selethen ärgerlich aus. »Wir waren uns doch einig …«
»Wir waren uns einig, dass ihre Hand für mich tabu ist«, fiel ihm Alyss ins Wort, ganz die naive Unschuld. »Ich habe sie aber am Ellbogen getroffen, nicht an der Hand. Wenn wir … Auuuuuu!«
Sie verspürte einen brennenden Schmerz im linken Bein. Evanlyn, die ihren tauben rechten Arm mit der linken Hand hielt, hatte ihr einen Tritt gegen das Schienbein versetzt. Alyss humpelte mit schmerzverrtem Gesicht zur Reling und funkelte Evanlyn böse an. Dann blickte sie nach unten und bemerkte, dass sie ihr Schwert immer noch in der Hand hatte, während Evanlyn unbewaffnet war. Drohend ging sie auf die Prinzessin zu.
» GENUG !«, bellte Walt.
Alle Augen richteten sich auf ihn und selbst die Nordländer waren beeindruckt von seiner Lautstärke. Walt sah verärgert auf die beiden Mädchen, die beide ihre Verletzungen pflegten und einander wütende Blicke zuwarfen.
»Schluss jetzt! Hört endlich auf, euch zu zanken wie ein paar verwöhnte Gören«, knurrte Walt. »Ich habe es langsam satt. Ihr solltet es beide besser wissen.«
Alyss senkte beschämt den Blick. Evanlyn hingegen war nicht so leicht kleinzukriegen.
»Ach ja, Walt? Darf ich dich vielleicht daran erinnern, dass eine der verwöhnten Gören deine königliche Prinzessin ist?«
Walt wirbelte zu ihr herum. Seine Augen blitzten und Evanlyn tat nun doch einen Schritt zurück. Sie hatte Walt noch nie so wütend gesehen.
»Königliche Prinzessin?«, wiederholte er verächtlich. » Königliche Prinzessin? Ich kann dir sagen, königliche Prinzessin , dass ich mich einen Teufel darum schere. Wenn du nicht beinahe erwachsen wärst, würde ich dich eigenhändig übers Knie legen und dir den Hintern versohlen!«
Evanlyn war empört. »Wenn du mich anrührst, wird dich mein Vater zur Rechenschaft ziehen!«
Walt schnaubte geringschätzig. »Wenn dein Vater hier wäre, würde er meinen Umhang halten, damit ich es ungehindert tun könnte.«
Evanlyn wollte schon aufbegehren, schwieg dann jedoch, denn insgeheim hatte sie den Verdacht, dass Walt wahrscheinlich recht hatte.
»Könntet ihr beide euch endlich einmal wie eine Prinzessin und eine Diplomatin benehmen?«, sagte Walt. »Wenn nicht, dann werde ich Will nach Hause schicken müssen.«
»Mich?«, rief Will, und seine Stimme überschlug sich fast. »Was habe ich denn damit zu tun?«
»Ach, es ist alles deine Schuld«,
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