Die Chroniken von Blarnia
Asthma. Ihm wurde ganz schwummerig. Er hatte sich so klein wie möglich gemacht und wünschte sich nichts sehnlicher, als ins Gebüsch fliehen zu können.
Das Gelächter des Publikums wurde lauter. »Hübsche Haube!«, brüllte jemand. »Friss ihn auf!«, sagte ein anderer -denn darauf lief die Szene zwangsläufig hinaus. Asthma bereitete sich auf sein Ende vor. Ob es wohl besser ist, im Ganzen verschluckt zu werden, fragte er sich.
»Nein«, sagte die Feiste Hexe und warf ihre mit Regenbogen bedruckte Papierserviette hin. »Diese Kreatur ist zu... lächerlich, um sie zu essen.«
Die Zuschauer schnappten nach Luft. War das möglich? Diese Dämonin, die einmal ein ganzes Glas Mayonnaise in weniger als fünfzehn Sekunden ausgeschleckt hatte, diese Fressmaschine, deren kulinarisches Motto lautete: »Roh oder gekocht, gebraten geht auch, Hauptsache, es kommt in den Bauch«, die verschmähte Asthma?
Einige Sekunden verstrichen, und dann verwandelte sich die Fassungslosigkeit des Publikums in Gelächter, ein grässliches, heiseres, höhnisches Blöken. Doch das Furchtbarste daran war, dass es ansteckend wirkte. Sue und Loo mussten in ihrem fünfzehn Meter weit entfernten Versteck auf Stöckchen beißen, um nicht mit einzustimmen. Asthma war zwar etwas wunderlich, aber kein schlechter Kerl, und sie wollten es ihm nicht noch schwerer machen. Doch schließlich verloren selbst sie die Beherrschung. Sie wussten, dass es nicht richtig war, aber gegen eine ganze Meute ist nur schwer anzukommen.
Mit gebrochenem Stolz und immer noch den albernen Klamotten am Leib stahl sich Asthma schließlich ins Unterholz.
»Na also!«, sagte die Hexe. »Den sehen wir nicht mehr wieder. Jetzt lasst uns den anderen Schwachköpfen zeigen, wo der Hammer hängt!«
»Oje«, sagte Sue, als die Kinder der Nacht - alle in Blarnia-Touristik-T-Shirts - johlend auf sie zuströmten. »Versteck dich!«, sagte sie zu Loo, die prompt aufstand und zu winken begann.
»Ju-hu! Hier bin ich, ihr Schurken...«, rief Loo ihnen zu, aber es war zwecklos. Ich habe Ihnen ja schon von den schlechten Augen der Blamier erzählt, und selbst wenn sie im Dunkel der Nacht etwas hätten sehen können, hätte es doch nichts genützt: Gerade hatte jemand begonnen, ein paar tolle Toter-Asthma-Witze zu erzählen, und alle lachten so laut, dass sie nichts anderes mehr hörten.
Als die Staubwolke sich verzog, stampfte Loo mit dem Fuß auf. »Was muss ein Mädchen denn tun, um in diesem Land umgebracht zu werden?«
Gewiss, die Anhänger der Hexe waren ein ziemlich raubeiniges und unattraktives Völkchen (sogar so unattraktiv, dass man sich fragt, wie ausgerechnet sie dazu kamen, sich über das Aussehen anderer Leute lustig zu machen). Aber so hässlich sie auch sein mochten, ist es doch ausgesprochen unfair, sie als »Lumpenpack« zu bezeichnen, wie manche Leute es taten. Ihnen waren einfach nicht die gleichen Gaben in die Wiege gelegt worden wie anderen Blarniern. Deswegen waren sie noch lange nicht böse. Nun ja, einige von ihnen schon, aber die meisten machten einfach nur das Gleiche wie ihre Freunde - so sind die Unmenschen nun mal.
Doch sie glaubten, die restlichen Einwohner Blarnias würden sie verachten, und so ganz falsch lagen sie damit vermutlich nicht. Ganz bestimmt wünschten manche Blamier - vor allem jene, die eine Erklärung für ihr eigenes verkorkstes Leben suchten - den Anhängern der Feisten Hexe nur das Schlimmste und dachten schlecht über sie: dass sie ihnen alle Jobs wegnähmen, dass sie zu viele Kinder kriegten, dass sie keine richtigen Blamier wären - es ist immer dasselbe.
Aber eigentlich wollten die meisten Leute auf beiden Seiten einfach nur ihr Leben leben. Insofern war es besonders absurd, dass die Anhänger der Feisten Hexe ausgerechnet Asthma gedemütigt und erniedrigt hatten. Er war vermutlich die einzige Figur in der gesamten Phantasiewelt, die jeden so akzeptierte, wie der Allmächtige Lektor ihn geschaffen hatte, auch wenn er schielte, mit abstoßenden Grützbeuteln übersät war und aus dem Maul dermaßen nach verfaultem Fleisch stank, dass er damit Papier hätte in Brand setzen können. Alle anderen, egal auf welcher Seite sie standen, fühlten sich irgendwie als Versager und waren sicher, dass sie nicht allein mit dieser Meinung waren. Und wenn man sicher ist, dass irgendwer einen nicht mag, ist es nur natürlich, dass man ihn erst recht nicht mag.
Für die Feiste Hexe war es ein Leichtes, daraus Kapital zu schlagen. Sie erzählte
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