Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
wird jeden befragen, um herauszufinden, welche Route wir genommen haben, und wahrscheinlich Männer hinter unsherschicken. Er wird außerdem versuchen, mich zu zwingen, meinen Aufenthaltsort zu verraten. Er könnte sich verschiedene Routen vornehmen und dort Lawinen oder Steinschlag auslösen. Aber machtvolle Zauber brauchen Vorbereitungszeit. Wenn wir das Gebirge einigermaßen schnell überqueren, können wir Alathien sicher erreichen.« Er klang, als wollte er eher sich selbst überzeugen.
Alathien … mir kam ein schrecklicher Gedanke, als wir eine weitere, mondbeschienene Granitplatte hinunterkrochen. »Er kann uns zwar nicht aufspüren, aber welchen Unterschied macht das schon? Er muss inzwischen begriffen haben, wohin wir wollen. Was kann ihn hindern, die Alather vor uns zu warnen, damit sie uns nicht über die Grenze lassen?« Die Nachricht eines Flüsteramuletts könnte den magischen Schutzwall der Alather sicher nicht durchdringen, aber ein Magier hatte ganz gewiss andere Mittel.
»Ruslan wird sich nicht an die Alather wenden«, sagte Kiran, als wäre das eine unumstößliche Tatsache. »Er will nicht, dass sie mich gefangen nehmen. Dann wäre ich für ihn nutzlos.«
Das klang ja richtig optimistisch. Ich ging erst mal darüber hinweg. »Gut, angenommen er zaubert sich zur Grenze und wartet vor dem Grenzübergang in einem Hinterhalt, was dann?«
»Vom Konvoi aus kann er sich nicht dorthin translozieren. Wie gesagt, Translozieren erfordert immense Kräfte, und die Berge hier sind magisch neutral. Er müsste zuerst nach Ninavel zurückkehren und es von dort aus tun.«
»Aber er kann zur Grenze reiten, genau wie Pello … Scheiße! Kann er von Ferne mit Pello sprechen und ihn einen Hinterhalt legen lassen?«
Kiran kaute auf seiner Lippe und nickte. »Aber du meintest doch, wir würden vor Pello an der Grenze sein.« Er sah mich so hoffnungsvoll an wie ein Behafteter, der auf sein Lob wartet. Ich zog die Brauen zusammen.
»Durch meine Abkürzung sind wir schneller da als ein gewöhnlicher Reiter, aber kann Ruslan das Pferd verzaubern? Verhindern, dass es strauchelt oder erlahmt?« Ich hatte geglaubt, wir hätten einen guten Vorsprung, denn jeder Gaul muss mal rasten und fressen, auch wenn er hart geritten wird. Wenn aber jemand, ohne zu rasten oder das Pferd zwischendurch mal gehen zu lassen, zur Grenze ritte, wäre unser Vorsprung nur noch hauchdünn.
Kiran taumelte und fing sich an einer Kiefer ab. »Schon möglich, aber er bräuchte einen komplexen Zauber, um ein Lebewesen so zu verändern, die Vorbereitung würde mindestens einen Tag dauern.«
Seine Hände zitterten, und die Strapaze war ihm anzuhören. Ich sagte nichts mehr, damit er seine Kräfte nicht aufs Reden verschwendete. Noch eine halbe Meile bis zur Steilwand, schätzte ich. Schon streckten sich die Äste der Bäume über den Himmel und ließen kaum noch Mondlicht hindurch.
Immer häufiger musste ich Kiran helfen. Er bekam kaum noch Luft und hielt sich an jedem Baumstamm fest. Als wir zu einer Senke zwischen knorrigen Kiefern kamen, schob ich ihn auf das weiche Nadelbett.
»Ruh dich aus«, sagte ich. »Wir müssen auf die Dämmerung warten, bevor wir die Steilwand über dem Granatfluss in Angriff nehmen.« Es ging wirklich nicht anders, aber ich sah die ganze Zeit vor mir, wie Ruslans Häscher nach und nach aufholten.
Ohne ein Wort drehte Kiran sich auf die Seite und rührte sich nicht mehr, auch nicht, als ich ihm den Rucksack von den Schultern streifte und eine Decke über ihn breitete. Ich fluchte leise. Wenn er außer Schlaf noch etwas brauchte, um sich zu erholen, waren wir aufgeschmissen, denn ich hatte keine heilerischen Fähigkeiten.
Das war bestimmt die größte Dummheit meines Lebens. Ich fasste mir an die Schläfen, zog eine Grimasse und lehnte michan meinen Rucksack. Es hatte keinen Sinn, darüber zu brüten. Ich hatte meine Wahl getroffen. Ich brauchte Schlaf, wenn ich Kiran morgen früh über schwieriges Terrain schleifen wollte.
Sethan hatte mir mal beigebracht, wie man in der Nacht vor einem schwierigen Aufstieg seine Nerven beruhigt und für tiefen Schlaf sorgt. Man erinnere sich an eine beglückende Kletterpartie, rufe sich jede Bewegung, jede Empfindung ins Gedächtnis, bis alles andere verblasst … Der Trick hatte immer geklappt. Doch so sehr ich mich bemühte, glücklichere Zeiten heraufzubeschwören, es kam immer nur ein Bild hervor und das verfolgte mich bis in den unruhigen Schlaf: Cara mit
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