Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
vor Ruslan.«
»Du meinst, das Ding ist so machtvoll, dass du damit an einem Magier vorbeilaufen kannst, ohne dass der was merkt?« Schwer zu glauben, aber das würde mir das Leben erleichtern.
Kiran erstarrte. »Da steht ein echter Magier an der Grenze?«
Ich hatte gute Lust, ihm einen Tritt zu verpassen. Wie in Khalmets Namen konnte ein Magier so blöd sein? »Natürlich steht da ein Magier! Was glaubst du denn, wer da für die Einhaltung ihrer lächerlichen Bestimmungen sorgt?«
Er sah mich böse an, während er vorsichtig eine rutschige Erdrinne hinunterstieg. »In den Büchern, die ich über Alathien gelesen habe, wurden nur die Schutzzauber besprochen«, sagte er angespannt. »Als ich Bren fragte, ob ein Grenzübertritt für mich möglich wäre, schien er keine Schwierigkeit zu sehen.«
»Dann wusste Bren also, dass du ein Magier bist.«
Kiran nickte. Ich sah Brens breites, selbstgefälliges Grinsen vor mir und wurde noch wütender. Dieser hinterhältige Scheißkerl sollte in der Hölle schmoren! Kein Wunder, dass ich ihm den Zusatzlohn so mühelos aus den Rippen leiern konnte. Da hätte ich kapieren müssen, dass er mir eine gefährliche Komplikation verschwieg.
Andererseits war Brens Wissen vielleicht die zündende gute Nachricht. Bren hätte sich nicht auf den Auftrag eingelassen, wenn ein Grenzübertritt unmöglich wäre. Außer er wollte gar nicht, dass wir es schafften … nein, Unsinn. Wenn uns die Alather schnappten, würden sie uns unter Wahrheitszauber setzen und alles über Brens und Gerrans Schmuggelgeschäfte erfahren, und Bren würde ein Vermögen verlieren. Außerdem hätte er sich nicht die Mühe gemacht, mich ausdrücklich auf Diskretion zu verpflichten.
Zwischen Kirans Brauen bildete sich eine tiefe Falte. »Glaubst du, es gibt für mich einen Weg nach Alathien hinein?«
Ach, jetzt fiel ihm ein, Bren könnte gelogen haben. Warum er meiner Meinung nach nicht gelogen hatte, konnte ich Kiran schlecht verraten, da das unter die Verschwiegenheitsklausel fiel. Stattdessen schlug ich einen möglichst zuversichtlichen Ton an.
»Es gibt immer einen Weg. Der Grenzwall selbst mag ja undurchdringlicher sein als die Mauern der Hölle, aber die Spürzauber am Grenzposten können überlistet werden.« In Wirklichkeit war ich mir da nicht so sicher und fürchtete vor allem, dass Ruslan uns vorher erwischte und mich einäscherte.
Ich zwängte mich zwischen dicht stehenden Kiefern hindurch und blieb abrupt stehen. Dicht vor mir ging es senkrecht in die Tiefe bis zum bewaldeten Talboden. Nebelfetzen zogen in gewundener Linie über die Wipfel und zeigten an, wo der Fluss verlief. Die Westseite der Granatschlucht war nicht felsig, aber genauso steil. Purpurtannen und Borstenrindenkiefern standen am unteren Hang, wurden nach oben hin weniger, bis zur Baumgrenze, die tausend Fuß unterhalb des gezackten Kammes verlief.
»Wohin gehen wir, wenn wir unten angekommen sind?« Kiran klang entmutigt.
Ich setzte den Rucksack ab und holte Klettergeschirr und Seile heraus. »Wir überqueren den Fluss, dann steigen wir zu dem Kar unter dem Bärenfang-Gipfel auf.« Ich zeigte zu einem Berg, der statt einer Spitze etliche gleich hohe Zacken hatte. »Siehst du die etwas größere Lücke zwischen den zwei Zähnen dort? Da müssen wir hin.«
Kirans Blick folgte meinem Finger. »Das sieht, äh …« Er stockte, und ich sah ihn Wörter wie »unmöglich« und »halsbrecherisch« verwerfen. »Steil aus«, sagte er schließlich.
»Der Aufstieg ist nicht so schlimm, wie es scheint.« Hinter einem Vorbau verborgen befand sich ein geschützter Kamin mit vielen verlässlichen Griffen, den auch ein Anfänger wie Kiran mit ein bisschen Hilfestellung ersteigen konnte. So Khalmet wollte, würden wir das Kar am Abend erreichen und dann am frühen Morgen, wo die Lawinengefahr am geringsten war, zu dem Einschnitt hochsteigen. »Mir ist noch niemand begegnet, der weiß, dass man den Bärenfang-Gipfel überqueren kann.Wenn Ruslan also nach Routen fragt, wird er von den einfachen Pässen weiter südlich hören. Mit etwas Glück wird er seine Sucher in diese Richtung schicken.«
Worauf ich mich allerdings nicht verlassen wollte. Während ich den Abstieg vorbereitete, schaute ich, ob irgendwo das verräterische Blinken eines Fernrohrs zu sehen war. Ruslans Suchtrupp sollte noch nicht so weit aufgeholt haben, aber Pello konnte durchaus in der Nähe sein. Ich hoffte aber, dass er sich an den Weg hielt, der ein gutes Stück weiter
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