Die Chroniken von Ninavel – Die Blutmagier
südlich in Serpentinen nach unten führte. Aber wenn nicht … ich seufzte und warf den Beutel mit den Kletterhaken wieder in den Rucksack. Es dauerte länger und war schwieriger, beim Abseilen natürliche Sicherungspunkte wie Bäume zu benutzen, aber ich wagte nicht, eine Spur aus lauter Kletterhaken in der Wand zu hinterlassen, ganz zu schweigen von dem lauten Gehämmer, wenn ich sie in den Fels schlüge.
Kiran legte sein Klettergeschirr an und begann, das Seil abzurollen. Wieder sprang mir die makellos verheilte Haut an seinen Händen ins Auge.
»Was für Magier seid ihr eigentlich, du und Ruslan?« Ich wusste nicht, wie die verschiedenen Magier sich bezeichneten, aber auf der Straße teilte man sie locker danach ein, womit sie ihre Magie beschworen: Windmagier, Erdmagier, Metallmagier, Kristallmagier, Gesangsmagier … Die Liste war endlos und ich war bestimmt kein Fachmann, aber aus den Geschichten, die in den Schenken kursierten, ließe sich vielleicht der wahre Kern über die Haupttypen herausschälen, damit ich ungefähr einschätzen konnte, womit ich es zu tun hatte.
»Wie bitte?« Er ließ die Hände sinken.
»Wie beschwört ihr eure Magie?« In Ninavel wusste man Bescheid, sobald man die Sigilla an der Kleidung sah. Aber ohne die war ich natürlich aufgeschmissen.
Kiran senkte den Kopf und wandte sich wieder dem Seil zu.»Ich habe gelernt, die Kräfte zu nutzen, die tief in der Erde liegen.«
Erdmagier also oder Sandmagier. Nur durchschnittlich mächtig, wenn man den Geschichten glauben durfte. Und ohne den Grauen erregenden Ruf der mächtigsten Magier. Doch auch ein durchschnittlicher war gefährlicher als meine bisherigen Gegner. Es zog mir den Magen zusammen. »Und Ruslan?«
Kirans Lippen wurden schmal. »Auch.«
»Nur stärker und erfahrener«, schloss ich säuerlich. Na, wenigstens hatte ich mir keinen Knochenmagier oder, noch schlimmer, einen Blutmagier zum Feind gemacht. Ich unterdrückte einen Schauder, als mir die verachtungsvolle Bosheit vor Augen trat, die dieser kalt lächelnde Bastard auf der Eranyastraße ausgestrahlt hatte.
»Ja.« Mit einem aggressiven Ruck zog Kiran den Gürtelknoten seines Geschirrs zu. »Ich bin so weit.«
Nach einem letzten Blick auf das Tal legte ich mein eigenes Geschirr an. Je eher wir unten zwischen den Bäumen verschwanden, desto besser.
×
Bis wir das letzte Stück des Steilhangs überwunden hatten, war die Schlucht in hellen Sonnenschein getaucht. Kiran kam mit dem Abseilen viel besser zurecht als gedacht, aber er sah erschöpft aus und handhabte das Seil immer langsamer und vorsichtiger.
Es ließ sich nicht sagen, ob uns jemand entdeckt hatte. Sowie wir die Ausrüstung wieder eingepackt hatten, machten wir uns auf den Weg zum Fluss. Der Waldboden war gut gangbar und würde für eine ganze Weile das letzte mühelose Terrain darstellen. Hier standen ausschließlich Borstenrindenkiefern, alte, stattliche Exemplare mit so dicken Stämmen, dass man nichtherumfassen konnte. Die untersten Zweige saßen erst in zwanzig Fuß Höhe. Als Kind war ich mal in den Tempel des Brennenden Mondes geschlichen, hoch oben im Kahori-Turm. In dem hallenden Marmorsaal mit den vielen Säulen war ich mir klein wie ein Sandfloh vorgekommen, und beim ersten Anblick einer Borstenrindenkiefer hatte ich die gleiche Ehrfurcht verspürt. Fast wünschte ich, ich hätte Kirans Reaktion darauf zu einer anderen Zeit gesehen, wo wir keine Angst vor Verfolgern zu haben brauchten.
So aber eilte Kiran mit gesenktem Kopf hinter mir her. Ab und zu strich er mit der Hand über die borstigen Rinden, als wollte er sich vergewissern, dass sie echt waren. Davon abgesehen zollte er seiner Umgebung keine Beachtung – erst als wir am Granatfluss ankamen. Da blieb er abrupt stehen und staunte halb verwundert, halb entsetzt.
»Wie sollen wir denn da hinübergelangen?«
Verglichen mit den großen Strömen Alathiens war der Granatfluss ein Bach, aber gegen ihn nahm sich der brausende Sturzbach in der Silberaderschlucht wie ein Rinnsal aus. Zehn Wagenlängen breit und mannstief floss er gleichmäßig dahin, aber die Strömung riss einen erwachsenen Mann sofort um. Das Wasser war klar. Im Seichten konnte ich gefleckte Fische sehen. Die steile Uferböschung war bereits grün von Knöterich und Ampfer. In ein paar Wochen würde es hier in allen Farben blühen.
»Wir suchen uns eine Stelle, wo man von Stein zu Stein springen kann, denn ich vermute, du kannst nicht schwimmen.«
Er sah mich
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