Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
nicht!«, schrie der Visionenritter, der fast heran war; er neigte sich im Sattel, als wolle er nach Rowarn greifen, aber in diesem Moment war der junge Mann schon über die Markierungslinie getreten.
Rowarn hatte Angmors Mahnung durchaus noch in Erinnerung, gerade deswegen hatte er Tamron ja so eilig wie möglich zurückholen wollen. Er hatte geplant, so schnell zu sein, dass niemand – Geist, Toter oder was auch immer – es mitbekommen würde. Er durfte keine Zeit verlieren. Schließlich konnte der immer noch blinde, geschwächte Visionenritter hierbei nicht helfen, sonst geriet er womöglich selbst in Gefahr. Rowarn hatte keine anderen Wahl.
Doch dann verstand er, warum man den Weg nicht verlassen sollte.
Was er nun sah, war nicht mehr das tote Felsland, durch das sie seit über einer Stunde gezogen waren. Die Luft flirrte und waberte vor Hitze, die Sicht war noch verzerrter als vorher, und Rowarn sah ... Wesen . Kreaturen, ob lebend oder tot wusste er nicht zu sagen, die dieses Reich bevölkerten, und es gab auch eine Landschaft voll bizarrer, eckiger Bäume, nicht minder merkwürdiger Sträucher, und gezackter Grasbüschel. Die Wesen ähnelten nichts, was Rowarn je gesehen hatte, sie schienen willkürlich aus vielen Teilen, die nicht zueinander gehörten, zusammengesetzt. Manche waren so riesenhaft, dass ihre Beine die Bäume überragten. Einige Geflügelte hatten eine Spannweite von mehr als zwei Speerwürfen. Dann gab es Monstrositäten, die mit mächtigen Kieferwerkzeugen und Hauern tiefe Löcher in den Boden schlugen. Die Luft war erfüllt von unbeschreiblichem Lärm.
Rowarn schluckte. War dies Scíanshàn oder gar das zwergische Hráldfhárr, wo verfluchte und verlorene Seelen gefangengehalten wurden? Er sah Schemen zwischen den körperlosen und trotzdem so wirklich scheinenden Kreaturen umherwandern, und er hörte Klagen und Jammern über das infernalische Kreischen und Dröhnen hinweg. Und Rowarn spürte die Magie körperlich, in sich, wie glutflüssige Lava zog sie feurige Bahnen durch seinen Körper, rüttelte und zerrte an ihm.
Doch davon durfte er sich nicht beeindrucken lassen, er hatte eine Aufgabe zu bewältigen. Erschrocken sah Rowarn, dass sich die Aufmerksamkeit bereits auf den bewusstlosen Unsterblichen richtete, dass Geschöpfe von menschenähnlicher Form sich um ihn ringten, lange, dünne Greifklauen nach ihm ausstreckten und mit weit geblähten Nüstern witterten. Diese Wesen waren bleich, die Knochen zeichneten sich durch die dünne Haut ab; einige besaßen keine Augen, andere keinen Mund.
»Weg von ihm!«, schrie Rowarn und rannte auf Tamrons Bahre zu. Doch bevor er sie erreichte, sprang ihm ein hundeartiges Geschöpf mit überlangen Hinterbeinen in den Weg und öffnete drohend einen zähnestarrenden Rachen. Derweil packten drei der Geisterwesen die Bahre und schleppten sie mit sich fort.
Rowarn zog das Schwert und starrte das Hundewesen, das etwa so groß wie Aschteufel war, drohend an; sein Gebaren war mutiger, als er sich fühlte. Doch er konnte nicht mehr zurück. »Aus dem Weg!«, knurrte er die Kreatur an. »Oder du wirst es bereuen.«
Das Geistertier zeigte sich unbeeindruckt. Als Rowarn einfach weitergehen wollte, griff es ihn an. Der junge Ritter schlug sofort zu, doch sein Schwert traf nur Luft. Die Kreatur hingegen erwischte ihn voll mit der Pranke, und Rowarn wurde durch die Luft geschleudert und landete ächzend auf dem Rücken. Bevor er sich herumrollen konnte, war das Biest über ihm, presste die Schemenpfote auf seine Brust und drückte ihn schwer nieder. Rowarn schlug mit dem Schwert um sich, doch es traf auf keinen Widerstand. Am Rande bekam er mit, wie die anderen Wesen Tamrons Bahre immer tiefer in das verfluchte Land schleppten. Bald würde er sie nicht mehr finden können, bei all den wabernden Trugbildern rings um ihn würde er schnell die Orientierung verlieren.
Obwohl der Kiefer der Bestie nicht fassbar war, troff Speichel herab, als sie den Kopf auf Rowarn herabsenkte, um zuzubeißen.
Da griff Rowarn zu einer letzten verzweifelten List, wie ein Käfer, den ein neugieriges Kind auf den Rücken gedreht hatte – er stellte sich tot. Es gab eine Übung der Tiefen Ruhe, in der man den Herzschlag verlangsamen und den Atem für einige Zeit anhalten konnte. Rowarn hatte diese Übung schon mehrmals bei Streichen eingesetzt, wenn er Gefahr lief, entdeckt zu werden. Nicht zuletzt hatte er wegen der Waldtiere bei Madin, etwa einer Rotte Riesenschweine,
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