Die Chroniken von Waldsee Trilogie Gesamtausgabe: Dämonenblut Nachtfeuer Perlmond (German Edition)
Aalreiter hielten gewohnheitsmäßig Ausschau nach Eindringlingen von außen, nur selten einmal schien einer seine Blicke durch die Siedlung schweifen zu lassen. Vermutlich langweilten sie sich dabei die meiste Zeit. Die Siedlung der Menschen lag sehr geschützt in einem einsamen Talkessel, den man nur durch Zufall entdecken konnte, da er abseits aller Wege lag. Von hier oben waren nicht einmal mehr die Leitern erkennbar.
Allmählich erkannte Rowarn, worauf Pyrfinn zuhielt – eine große, beleuchtete Höhle, die zentral auf der dritten Ebene lag. Diese wiederum war zuvor von unten nicht sichtbar gewesen. Sicher lebte hier der Dorfvorstand, oder es fanden Versammlungen statt. Vor dem Eingang hielten zwei Männer Wache.
Lautlos schlichen sich die beiden Eindringlinge von der Seite so nah heran wie nur möglich. Die Felsen boten ausreichend Deckung durch zahlreiche Nischen. Pyrfinn winkte Rowarn und wies auf einen kleinen Spalt, der von Menschenhänden künstlich erweitert worden war. Geschaffen von Neugierigen, die keinen Zutritt hatten und sich auf diese Weise informieren wollten. Rowarn grinste innerlich.
Vorsichtig spähte er durch die Ritze und erblickte in der Mitte des Raums, auf einen Stuhl gefesselt, Mirella. Sie kam mehr nach ihrem Vater, war stämmig, aber eher klein geraten, sie besaß denselben energischen Zug um die Mundwinkel wie Jokim. Sie sah ein wenig mitgenommen, aber unverletzt aus; die Kleidung war verdreckt und hatte Risse, die langen Haarzöpfe befanden sich in Auflösung. Doch ihre Augen funkelten hellwach und keineswegs freundlich. Mit dem Kopf folgte sie langsam den Bewegungen einer Person, die bisher nicht in Rowarns Blickfeld gekommen war.
»Lass mich endlich frei, bevor es zu spät ist!«, forderte die junge Zwergenfrau mit heller, klarer Stimme.
»Hör endlich auf, das ständig zu wiederholen«, antwortete eine Männerstimme ungehalten. Sie war nicht im mindesten auffällig und würde im Gewirr einer lauten Unterhaltung untergehen. »Ich weiche nicht von meinen Forderungen ab.«
»Mein Vater kann darauf nicht eingehen, und das weißt du genau.«
»Zumindest in einer Sache hat er keine Wahl.«
Rowarn zuckte zurück, als der Mann plötzlich dicht an der Ritze vorbeikam, er roch nach Tierfett und Schweiß. Er trug das Fell eines Bären und den mumifizierten Schädel auf dem Kopf. Die muskulösen Arme und Beine waren nackt und mit blauen Symbolen bemalt, zum Teil trug er Narbentätowierungen auf der Haut.
Der Mann stützte die Arme auf die Stuhllehnen und beugte sich über Mirella; es wirkte, als wäre er doppelt so groß wie sie. »Was hindert mich eigentlich daran, dich sofort zu nehmen?«
» Ich hindere dich«, zischte die Gefangene und starrte furchtlos zu ihm hoch.
»Seit wann sind Zwerginnen derart zimperlich?«
»Wir wählen sehr sorgfältig aus, mit wem wir das Lager teilen, Gomwei. Und wenn du der König von ganz Valia wärst, würde ich für dich niemals meine Decke anheben.«
»Du hoffst wohl auf den Schutz als Königstochter«, erwiderte Gomwei abfällig lachend.
Mirellas Brust hob und senkte sich heftig über den Fesseln. »Ich sagte dir bereits, ich bin keine Königstochter! Meine Eltern sind gewählte Könige, das Volk kann sie jederzeit aus dem Amt jagen. Wenn sie abdanken oder sterben, wird ein anderer gewählt, und weder ich noch meine Geschwister werden zur Wahl antreten. Jetzt hör endlich auf mit diesem Unsinn und lass mich gehen! Ich habe ein Geschäft zu führen.«
Gomwei hob die Hand, als wolle er sie schlagen, doch dann richtete er sich auf und trat zurück. »Wir werden sehen. Ich werde dich Gehorsam lehren.«
»Davon träumst du«, prustete Mirella trocken. »Ich kenne dich, seit du mit Rotznase und barfuß im Hemdchen hinter den Hühnern hergejagt bist!« Sie riss den Mund auf, hielt den Aufschrei jedoch zurück, als Gomwei mit einem schnellen Schritt bei ihr war, in ihre Haare griff und ihren Kopf zurückriss.
»Pass auf, was du sagst!«, knurrte er. »Ich bin längst ein erwachsener Mann, und es gibt genügend Leute, die bezeugen können, dass ich ungeduldig und wenig nachsichtig bin.«
»Zwerge sind keine Sklaven, und Zwergenfrauen kriechen vor niemandem. Glaube nicht, dass ich Tod oder Folter fürchte, nur weil ich keine Waffen trage.« Mirellas Miene zeigte Stolz.
Rowarn spürte, wie Pyrfinn neben ihm tief einatmete, und legte hastig eine Hand auf seinen Arm. »Ganz ruhig«, raunte er ihm ins Ohr. »Es ist gleich soweit.«
Der
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