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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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traurigen Lächeln. »Man kann der Mathematik schon trauen.«
    »Nicht die Mathematik macht mir Sorgen. Wir sind nicht wegen der Mathematik hier, Ray. Wir sind schon zehn bis fünfzehn Saltos darüber hinaus.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass Sie ihr nicht mehr trauen?«
    »Was heißt das schon? Halte ich sie für ehrlich? Ja. Meint sie es gut? Natürlich meint sie es gut. Aber traue ich auch ihrem Urteilsvermögen? Und da bin ich mir nicht mehr so sicher.«
    »Sie waren bereit mitzukommen.«
    »Sie kann sehr überzeugend sein.«
    Ray hielt inne und blickte in die Dunkelheit hinaus, am stählernen Gerüst des Tau-Reaktors vorbei, über das Gestrüpp und die mondbeschienenen Wildgräser hinweg bis zu den Sternen. »Vergessen Sie nicht, was sie aufgegeben hat, Scott. Was hätte sie für ein Leben haben können. Sie hätte geliebt werden können.« Er lächelte matt. »Ich weiß, dass alle wissen, was ich für sie empfinde. Ich weiß auch, wie lächerlich das ist. Ich bin ein verdammter Clown. Ein Hornochse. Sie ist ja nicht mal heterosexuell. Aber wenn nicht ich, dann eben jemand anders. Eine von diesen Frauen, mit denen sie sich verabredet, um sie gleich wieder fallen zu lassen, die zu ihrem Leben gehören wie Textpassagen, die man einfügt und wieder streicht. Aber sie hat sie vor den Kopf gestoßen, weil ihr die Arbeit mehr bedeutete, und je härter sie arbeitete, umso wichtiger wurde ihre Arbeit und jetzt hat sie sich total ihrer Arbeit verschrieben, sie ist Teil ihrer Arbeit. Jeder Schritt, den sie jemals getan hat, war ein Schritt nach hier, Scott.
    Jetzt und hier muss selbst Sue sich fragen, ob sie noch bei Sinnen ist.«
    »Heißt das, wir schulden ihr den Zweifel?«
    »Nein«, sagte Ray. »Wir schulden ihr mehr als Zweifel. Wir schulden ihr unsere Loyalität.«
    Wie immer bedacht, das letzte Wort zu haben, wählte er diesen Augenblick, um sich abzuwenden und zu den Unterkünften zurückzukehren.
    Ich blieb zurück, stand stumm zwischen Mond und Flutlicht. Von hier aus wirkte der Tau-Reaktor reichlich klein. Ein Winzling, um damit derart Gewaltiges auszuhebeln.
     
    Als ich erst einmal schlief, schlief ich tief und fest. Gegen Mittag wachte ich auf; unter dem durchscheinenden Dach der aufgepumpten Unterkunft lagen außer mir noch ein paar Wachleute der Frei- und Nachtschicht.
    Niemand hatte daran gedacht, mich zu wecken. Alle hatten zu viel um die Ohren.
    Ich trat aus dem gedämpften Licht der Unterkunft in die brennende Sonne hinaus. Der Himmel war scheußlich hell, eine dünne blaue Glasschale zwischen Prärie und Sonne. Aber der Lärm war schlimmer. Wer schon einmal in der Nähe eines gut besetzten Baseballstadions war, der kennt diese Kulisse aus raunenden Stimmen.
    Im Kantinenzelt stieß ich auf Hitch Paley.
    »Mehr Presse als verabredet, Scotty«, sagte er. »Ein ganzer Mob verstopft die Straße. Die Highway-Patrol versucht die Fahrbahn zu räumen. Weißt du, dass man uns im Kongress schon anprangert? Es gibt Leute, die gehen jetzt schon in Deckung, für alle Fälle.«
    »Glaubst du, wir haben eine Chance?«
    »Vielleicht. Wenn man uns Zeit lässt.«
    Aber die ließ man uns nicht. Eine Lkw-Ladung kuinistischer Milizen rückte an, und als der nächste Tag heraufdämmerte, hatte die Schießerei schon begonnen.

 
VIER +
ZWANZIG
     
     
    Ich weiß, wonach die Zukunft riecht.
    Die gegenwärtige Zukunft, die der Vergangenheit aufgezwungene; diese Mischung aus Vergangenheit und Zukunft, aus zwei an sich harmlosen Substanzen, die vermischt giftig sind. Die Zukunft riecht wie alkalischer Staub und ionisierte Luft, wie heißes Metall und Gletschereis. Und kein bisschen nach Schießpulver.
    Die Nacht war relativ ruhig gewesen. Heute, am Tag der Ankunft, weckte mich sporadisches Gewehrfeuer aus einem kurzen Erschöpfungsschlaf – es war nicht so nahe, dass ich gleich in Panik geriet, aber so nahe, dass ich mich mit dem Anziehen beeilte.
    Hitch saß wieder im Kantinenzelt und leerte eine Pappschüssel mit kalten Bohnen. »Setz dich«, sagte er selbstgefällig. »Alles unter Kontrolle.«
    »Hört sich aber nicht so an.«
    Er streckte sich und gähnte. »Was du da hörst, ist ein Haufen Kuinisten weiter südlich an der Straße, die Zoff mit unseren Sicherheitskräften haben. Ein paar sind bewaffnet, aber alles, was sie wollen, ist in die Luft ballern und mit der Faust drohen. Eigentlich sind sie Zuschauer. Hinzu kommen etwa genauso viel Journalisten, die näher heran wollen, als der Zaun es erlaubt. Unsere Soldaten

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