Die Chronolithen
bugsierte, als sei er mit Nitroglyzerin gefüllt. Die Kugel hatte einen Durchmesser von drei Metern, war schwarz eloxiert und übersät mit elektronischen Schnittstellen und Kabelports. Sues Erklärungen hatte ich so viel entnommen, dass es sich im Grunde um eine magnetische Flasche handelte, in der sich bereits die exotische Variante eines kalten Plasmas befand. Wurde der Reaktor angeworfen, würde ein Aggregat interner Hochenergiegeräte eine fermionische Dekohäsion einleiten, woraufhin ein paar nahezu masselose Teilchen tau-unbestimmter Materie entstünden.
Dieses Material, behauptete Sue, reiche aus, einen im Entstehen begriffenen Chronolithen daran zu hindern, seinen Raum einzunehmen. Was das konkret bedeutete, war noch unklar – mir jedenfalls. Sue meinte, die Wechselwirkung zwischen den konkurrierenden Tau-Räumen werde zwar heftig, aber nicht »übermäßig energiereich« ausfallen, was uns der Sorgen enthebe, das gesamte Modesty-County (samt uns) könne dabei ausradiert werden. Ihr Wort in Gottes Ohr.
Bis Sonnenuntergang war der Reaktor verankert und über ein mit flüssigem Stickstoff ummanteltes Bündel an licht- und stromführenden Leitern mit unserer Elektronik verbunden. Es blieb zwar noch viel zu tun, aber die Schwerstarbeit lag hinter uns. Wir Zivilisten feierten das mit Grillsteaks und großzügigen Bierrationen. Eine Gruppe älterer Pioniere traf sich nach dem Abendessen an der Straße, redete über bessere Zeiten und sang alte Lux-Ebone-Lieder (sehr zum Verdruss der jungen Soldaten). Bei den Refrains sang ich mit.
In dieser Nacht hatten wir unser erstes Opfer zu beklagen.
So abgeschieden die Gegend war, die zweispurige County-Straße, auf der wir gekommen waren, war nicht gänzlich ausgestorben. Wir hatten Männer nördlich und südlich entlang der Straße, Soldaten mit der orangeroten Armbinde von Highway-Arbeitern. Sie trugen kaltleuchtende Taschenlampen und winkten jeden weiter, der mehr als beiläufiges Interesse an unseren Lkws und Maschinen zeigte. Diese Strategie hatte bislang funktioniert.
Nicht lange nach Mondaufgang passierte dann Folgendes: Auf dem nördlichen Buckel der Straße ließ ein Mann seinen patinagrünen Landau ohne Motor und Licht in den Pannenstreifen keine fünfzig Fuß weit von unserem Leittruck rollen, wo die Lagerbeleuchtung kaum noch hinreichte.
Der Mann stieg auf das Kiesbankett hinaus, mit dem Rücken zu zwei sich nähernden Wachleuten, und als er sich umdrehte, trug er etwas Wuchtiges und Undefinierbares in den Händen, das sich als uralte halbautomatische Schrotflinte entpuppte. Er feuerte auf die Soldaten, tötete den einen und schoss den anderen unheilbar blind.
Zum Glück war der leitende Wachhabende in dieser Nacht eine kluge und erfahrene Frau namens Marybeth Pearlstein, die auf ihrem Posten fünfzig Fuß entfernt Zeuge dieses Vorfalls wurde. Nur wenige Sekunden später kam sie mit schussbereitem Gewehr um die Stoßstange des nächsten Lkws herum und streckte den Angreifer mit einem wohlgezielten Schuss nieder.
Es stellte sich heraus, dass der Angreifer ein der örtlichen Polizei wohlbekannter Copperhead-Spinner war. Zwei Stunden später hielt der Truck eines County-Coroners und fuhr die Leichen ab; eine Ambulanz brachte den Überlebenden ins Medical Center von Modesty County. Es hätte vermutlich eine Untersuchung gegeben, hätten sich die Dinge anders entwickelt.
Was ich nicht wusste…
Und was ich später dann erfuhr…
Entschuldigung, aber zum Teufel mit diesen dämlichen und impotenten Worten…
Hören Sie, wie sie unter der bedruckten Seite zerrieben wird, diese Gräueltat, die ich nach so vielen Jahren exhumiere.
Was ich nicht wusste, war, dass einige dieser texanischen PK-Milizen – die Leute, von denen Hitch mir erzählt hatte, die Leute, die ihm zwei Finger abgehackt hatten – längst einem Pfad heimlicher Verbindungen gefolgt waren, der sie bis an die Schwelle von Whitman Delahunts Haus brachte.
Seit ich nach Portillo aufgebrochen war, um Kaitlin zu suchen, muss Whit seine Gesinnungsgenossen über mein Kommen und Gehen auf dem Laufenden gehalten haben. Damals schon hatten sich PK- und Copperhead-Eliten für Sue Chopra interessiert: Die einen sahen in ihr einen ernstzunehmenden Gegner, die anderen sogar einen potenziellen Selbstbedienungsladen.
Ich will nicht behaupten, Whit hätte die Konsequenzen seines Handelns vorhersehen müssen. Er teilte im Grunde nur ein paar interessante Informationen mit seinen Copperhead-Kumpels (die
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