Die Chronolithen
machen sie zur Schnecke. Sue will sie nahe dabei haben, aber eben nicht zu nah.«
»Wie nah ist zu nahe?«
»Gute Frage. Die Studenten und Techniker sind alle unten am Bunker. Die Presseleute richten sich ein bisschen weiter östlich ein.«
Der sogenannte Bunker war eine Art Schützengraben mit Holzdach gut eine Meile vom Reaktor entfernt; hier hatte Sue die Apparate zur Überwachung und Einleitung des Tau-Ereignisses installieren lassen. Der Graben war mit Heizöfen ausgerüstet, um wenigstens ein bisschen Schutz vor dem Kälteschock zu bieten; außerdem ließ sich die Anlage gegen den Beschuss mit leichten Handfeuerwaffen verteidigen.
Der Reaktor selbst stand groteskerweise völlig schutzlos da; allerdings wollten ihn unsere Soldaten so lange verteidigen, wie man den Zaun halten konnte. Zum Glück, meinte Hitch, sei der bunt zusammengewürfelte Haufen Kuinisten unten an der Straße alles andere als eine überlegene Streitmacht.
»Vielleicht kommen wir gerade noch hin, Scotty«, sagte er. »Mit ein bisschen Glück.«
»Wie geht es Sue?«
»Ich habe sie seit Sonnenaufgang nicht gesehen, aber… wie es ihr geht? Zu viel Adrenalin. Würd mich nicht wundern, wenn sie der Schlag trifft.« Er sah mich seltsam an. »Sag mir eins. Wie gut kennst du sie?«
»Ich kenne sie seit meiner Studentenzeit.«
»Ja schon, aber wie gut? Ich arbeite auch schon lange für sie, aber ich kann nicht behaupten, dass ich sie wirklich kenne. Sie redet über ihre Arbeit – und über mehr nicht, bei mir jedenfalls. Fühlt sie sich jemals einsam, kennt sie Angst, Wut?«
Diese Unterhaltung schien mir so gar nicht zu dem Gewehrfeuer zu passen, das nach wie vor aufbellte. »Was soll das?«
»Wir wissen nichts über sie, aber da sind wir und tun, was sie sagt. Was mir reichlich komisch vorkommt, wenn ich drüber nachdenke.«
Auch mir kam das komisch vor, im Moment jedenfalls. Was hatte ich hier verloren? Nichts. Ich riskierte mein Leben, und nützlich machte ich mich bestimmt nicht. Aber Sue sah das anders. Du wartest, bis deine Zeit gekommen ist, würde sie sagen. Du wartest auf die Turbulenz.
Mir fiel ein, was Hitch mir in Minneapolis unmissverständlich erklärt hatte: dass er nämlich Menschen getötet habe. »Wie gut konnte man einen Menschen überhaupt kennen?«
»Heute früh ist es kühler«, sagte Hitch. »Selbst in der Sonne. Schon gemerkt?«
Wenige Tage zuvor tauchte Adam Mills vor der Tür seiner Mutter auf – zusammen mit fünf brutalen Typen und einem Sortiment verdeckter Waffen.
Ich will nicht lange drumherum reden.
Adam war natürlich psychotisch. Klinisch psychotisch, meine ich. Die Symptome waren vollzählig. Er war antisozial, ein Tyrann und auf eine gewisse perverse Weise sogar eine Führernatur. Sein geistiges Universum war eine Mansarde, vollgestopft mit Secondhand-Ideologie und großkotzigen Phantasiegebilden, allesamt ausgerichtet auf Kuin oder was immer er sich unter Kuin vorstellte. Er hatte nie die natürlichen menschlichen Bindungen an Familie oder Freunde entwickelt. Alles deutete darauf hin, dass er keinerlei Gewissen hatte.
Wenn Ashlee in gedrückter Stimmung ist, sucht sie die Schuld bei sich; doch Adam war das Produkt seiner Hirnchemie und nicht seiner Erziehung. Ein Genomprofil und ein paar simple Blutuntersuchungen zur rechten Zeit hätten sein Problem deutlich gemacht. Vielleicht wäre er bis zu einem gewissen Grad therapierbar gewesen, ja. Doch eine so anspruchsvolle medizinische Intervention hätte Ash sich zu keiner Zeit leisten können.
Ich kann und will mir nicht vorstellen, was Ashlee in den wenigen Stunden mit Adam ausgestanden hat. Am Ende hat sie den fraglichen Ort in Wyoming preisgegeben, ihn und die Tatsache, dass ich, Hitch Paley und Sue Chopra dort waren, um – und das war das Entscheidende – den Chronolithen zu sabotieren.
Man darf ihr keinen Vorwurf machen.
Die Folge war, dass Adam bereits achtundvierzig Stunden früher als die Presse über den Chronolithen und unser Vorhaben informiert war.
Adam fuhr sofort Richtung Westen, ließ aber zwei seiner Schergen zurück, um unbequeme Telefonate seitens Ashlee zu unterbinden. Er hätte sie einfach töten können, entschied sich aber, sie in Reserve zu halten, als Geisel womöglich.
So schlimm das alles war, es kam noch schlimmer.
Nicht lange, nachdem Adam weg war, kam Kaitlin vorbei: Sie hatte immer noch keine Ahnung, was sich bei Janice und Whit abgespielt hatte, und wollte Ashlee Gesellschaft leisten – bei einem
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