Die Chronolithen
Toilette des Elternschlafzimmers, Hinterteil und Beine roh geschrubbt, wahrscheinlich mit einem Brillo-Stahlschwämmchen, wie wir sie für stark verschmutztes Kochgeschirr benutzten. Da wo kein Fell mehr war, blutete Chuffy aus einem Dutzend Wunden, und als ich ihn trösten wollte, schlug er mir die Zähne in den Unterarm.
Die Zeit hatte ihn stiefmütterlich behandelt, den Vorort in Maryland, wo mein Vater lebte. Aus der halbbäuerlichen Gegend war ein Nest aus Geschäftszeilen, Sexshops und Hochhäusern mit Arbeiterwohnungen geworden. Die umzäunte Gemeinde existierte noch, aber das Pförtnerhaus war verwahrlost und mit arabischen Graffiti besprüht. Das Haus an der Provender Lane, in dem ich aufgewachsen war, das Haus hinter den klumpigen Schneebarrieren, war kaum noch wiederzuerkennen. Eine der Dachrinnen hatte sich gelöst und die Schindeln dahinter hingen alarmierend durch. Es war nicht mehr das Haus, an das ich mich erinnerte, aber es schien das Haus zu sein, das zu meinem Vater passte – heruntergekommen und ungastlich.
Ich parkte, stellte den Motor ab und blieb sitzen.
Natürlich war es töricht gewesen, hierher zu kommen. Ich war einem dieser verwegenen Impulse gefolgt… große Gefühle, nichts dahinter. Ich hatte mich aufgeschwungen, meinen Vater zu besuchen, bevor ich das Land verließ (und er das Zeitliche segnete) – doch was genau sollte das bringen? Was hatte ich ihm zu sagen und was er mir? Was?
Ich langte schon nach dem Zündschlüssel, als er auf die knarrende Holzveranda kam, um seine Abendzeitung zu holen. Die Verandabeleuchtung ließ ihn in der blauen Dämmerung ganz gelbsüchtig erscheinen. Er blickte herüber, bückte sich nach der Zeitung und blickte wieder herüber. Schließlich kam er in Pantoffeln und Unterhemd bis zur Bordsteinkante. Er keuchte infolge der ungewohnten Anstrengung.
Ich fuhr die Scheibe herunter.
Er sagte: »Ich dachte mir, dass du es bist.«
Der Klang seiner Stimme weckte eine Vielzahl unerfreulicher Erinnerungen. Ich schwieg.
»Komm schon rein«, sagte er. »Ist kalt hier draußen.«
Ich verriegelte den Wagen hinter mir und aktivierte die Sicherheitsautomatik. Weiter unten auf der Straße verfolgten drei Asiaten mit ausdrucksloser Miene, wie ich meinem todgeweihten Vater zur Haustür folgte.
Chuffy erholte sich von seinen Verletzungen, kam aber nie wieder in Reichweite meiner Mutter. Dagegen waren die Verletzungen meiner Mutter dauerhaft und lähmend. Irgendwann während ihres Verfalls erklärte man mir, sie leide an einer Folge von Schizophrenie, die erst im Erwachsenenalter ausbreche; dabei handle es sich um eine neurologische Erkrankung, um einen Fehler irgendwo in den mysteriösen, aber natürlichen Gehirnabläufen. Ich glaubte das nicht, weil ich aus unmittelbarer Erfahrung wusste, dass das Problem nicht nur einfacher, sondern auch schrecklicher war: Eine gute Mutter und eine schlechte Mutter teilten sich seit geraumer Zeit ein und denselben Körper. Und dass ich die gute Mutter liebte, machte es möglich, ja unumgänglich, die schlechte zu hassen.
O je, und sie vermengten sich. Gab die gute Mutter mir morgens einen Abschiedskuss, konnte es sein, dass, wenn ich (spät und widerstrebend) von der Schule heimkam, die wahnsinnige das Sagen hatte. Als Teenager hatte ich keine engen Freunde, denn wenn man Freunde hat, muss man sie auch mit nach Hause bringen können; und als ich das zum letzten Mal versucht hatte, als ich einen schüchternen rothaarigen Jungen namens Richard mitbrachte, der mir in Erdkunde geholfen hatte, da hielt sie ihm zwanzig Minuten lang eine Standpauke über die Gefahr von Videomonitoren für seine künftige Zeugungsfähigkeit. Was sie tatsächlich sagte, klang anschaulicher. Am Tag darauf verhielt Richard sich reserviert und teilnahmslos, als hätte ich mir Gott-weiß-was herausgenommen. Ich könne nichts dafür, wollte ich ihm erklären, genauso wenig wie meine Mutter. Wir waren die Opfer eines unheimlichen Spuks.
Weil sie nicht an ihre Krankheit glaubte, schrieb sie alles meiner Schwäche zu, nicht der ihren, und ich weiß nicht mehr, wie oft sie im Laufe meiner Teenagerzeit verlangt hat, ich solle endlich damit aufhören, sie »so« anzusehen – das heißt mit solcher Panik in den Augen. Eine der Ungereimtheiten paranoider Schizophrenie ist, dass sie ihre dunkelsten Erwartungen mit beinahe mathematischer Genauigkeit erfüllt. Sie dachte, wir – also Vater und ich – hätten uns verbündet, sie in den Wahnsinn zu
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