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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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wie sie sich benommen hat. Wie du das aufgenommen hast. Dinge, die eindeutig nur uns etwas angehen, sonst keinen. Christus, Scotty, sie wollten mit ihrer Nase überall rein. Den alten Krempel von dir in der Garage wollten sie sehen. Ob du’s glaubst oder nicht, sie haben Proben vom Leitungswasser genommen.«
    »Willst du damit sagen, sie sind hier aufgekreuzt?«
    »Hm.«
    »Was haben sie sonst noch mitgenommen, ich meine, außer Leitungswasser?«
    »Keine Ahnung, sie kamen im Rudel, und ich konnte nicht überall sein. Wenn du den alten Krempel sehen willst, der Karton ist noch da, hinter dem Buick.«
    Neugierig und verstört nahm ich das Angebot an und ging in die ungeheizte Garage.
    In dem fraglichen Karton war lauter Kram aus meiner High-School-Zeit. Jahrbücher, zwei akademische Auszeichnungen, alte Romane und DVDs, ein paar Spielsachen und Andenken. Und nicht zuletzt die kleine Freiheitsstatue aus Messing, die ich von New York mitgebracht hatte. Der grüne Filz unter dem Sockel war verschlissen, der hohle Messingkörper fleckig angelaufen. Ich nahm die Figur und steckte sie in die Rocktasche. Sollte in diesem Sammelsurium etwas fehlen, ich würde es nicht merken. Doch die Vorstellung von anonymen FBI-Agenten, die Kartons mit persönlichen Habseligkeiten in der Garage durchwühlten, war ätzend.
    Zuunterst lag ein Packen Bilder, die ich in meiner Schulzeit gemalt hatte. In Kunst war ich nie besonders gut gewesen, aber Mutter hatten diese Bilder so gut gefallen, dass sie sie aufgehoben hatte. Abblätternde Deckfarbenbilder auf braunem Papier, das die Konsistenz von altem Herbstlaub hatte. Hauptsächlich Schneemotive. Krumme Kiefern, primitive eingeschneite Hütten – einsame Dinge in einer weiten Landschaft.
    Als ich wieder ins Wohnzimmer kam, war Vater im Stuhl eingenickt. Die Kaffeetasse balancierte auf der gepolsterten Armlehne. Ich setzte sie auf das Tischchen. Er fuhr auf, als das Telefon klingelte. Ein altes Telefon mit Hörer und Schnur, die zu einem Digital-Adapter an der Wand lief.
    Er hob ab, blinzelte und sagte ein paarmal »Ejah«, bevor er mir den Hörer reichte. »Für dich.«
    »Für mich?«
    »Siehst du sonst noch einen?«
    Sue Chopra war am Apparat, die niedrige Bandbreite der Schnur dünnte die Stimme aus.
    »Du machst uns Kummer, Scotty«, sagte sie.
    »Danke gleichfalls.«
    »Willst du nicht wissen, wie wir dich gefunden haben? Sei froh, dass es uns gelungen ist. Einfach so wegzulaufen, du hast uns richtig Angst eingejagt.«
    »Sue, ich bin nicht weggelaufen. Ich verbringe den Nachmittag mit meinem Vater.«
    »Ich verstehe. Besser, du hättest einen Ton gesagt, bevor du die Stadt verlässt. Morris hat dir jemanden nachgeschickt.«
    »Morris kann mich mal. Willst du damit sagen, ich brauche eine Erlaubnis, um die Stadt zu verlassen?«
    »Das ist kein geschriebenes Gesetz, aber es wäre nett gewesen. Scotty, ich weiß, wie sauer du bist. Mir ist es genauso ergangen. Was soll ich sagen? Die Zeiten ändern sich. Heute lebt es sich gefährlicher. Wann kommst du zurück?«
    »Heute Abend.«
    »Gut. Ich denke, wir müssen reden.«
    Das, sagte ich ihr, dächte ich auch.
     
    Ich blieb noch ein paar Minuten bei meinem Vater sitzen, dann erklärte ich ihm, ich könne nicht länger bleiben. Das schwache Tageslicht jenseits des Fensters war restlos erloschen. Das Haus war zugig und roch nach Staub und trockener Hitze.
    Er verlagerte sein Fliegengewicht und sagte: »Du bist weit gefahren, nur um einen Kaffee zu trinken und herumzunuscheln. Ich weiß genau, warum du hier bist. Ich werd dir was sagen, ich fürchte mich nicht besonders vor dem Sterben. Auch nicht vor dem Reden darüber. Man wacht auf, liest die Post, sagt sich, na ja, heute wohl nicht. Aber das heißt nicht, dass man’s nicht weiß.«
    »Ich verstehe.«
    »Nichts verstehst du. Aber ich bin froh, dass du gekommen bist.«
    Das klang erstaunlich aus seinem Mund. Ich brachte keine Antwort zustande.
    Er erhob sich. Die Hose hing tief an den knochigen Hüften. »Ich habe deine Mutter nicht immer richtig behandelt. Aber ich war da, Scotty. Vergiss das nicht. Auch als sie im Krankenhaus war. Auch als sie phantasiert hat. Ich habe dich nur mitgenommen, wenn ich wusste, dass sie einen guten Tag hat. Sie hat Sachen gesagt, die einem die Schuhe ausziehen. Und dann warst du fort, zum College.«
    Nicht lange vor meinem Abitur war sie an einer Lungenentzündung gestorben. »Du hättest mich rufen können, als sie krank wurde.«
    »Warum? Damit du

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