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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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das radikal Neue, den Sturz antiquierter Autoritätsstrukturen und den Aufstieg von Mächten so kalt und rücksichtslos modern wie die Chronolithen selbst.
    Kurz gesagt, er nahm uns die Kinder weg.
     
    Als ich den Anruf wegen Kait bekam (von Janice, ohne Videofenster, weil sie nicht wollte, dass ich sie weinen sah), da wusste ich, dass ich Baltimore verlassen musste, und zwar ohne einen Morris Torrance, der mir wie ein Schatten folgen würde.
    Was nicht leicht war, aber sicher leichter als noch vor Jerusalem. Vor Jerusalem hatte Sue Chopra die Chronolithen-Forschung unter großzügiger Lenkung der Bundesbehörden geleitet. Diese Vorrangstellung war kompromittiert worden durch ihre bewusste Beschränkung auf die rein theoretischen Aspekte der Chronolithen-Forschung – ihre Besessenheit von der Mathematik der Tau-Turbulenz und ihr Desinteresse gegenüber ganz praktischen Fragen der Ortung und Abwehr – und nicht zuletzt durch ihren katastrophalen Auftritt im Kongress vom Juni 2028. Im Laufe der öffentlichen Befragung hatte sie sich geweigert, Senator Lazars Hypothese in Betracht zu ziehen, der zufolge der Jerusalem-Chronolith ein Vorbote der Endzeit sein könne. (Sie bescheinigte dem Senator eine »mangelhafte Bildung« und nannte die Idee einer »drohenden Apokalypse« eine absurde und kontraproduktive Mythologie, die dem Vorschub leistet, was wir mit aller Macht einzudämmen versuchen. Lazar, ehemaliger Republikaner, der es zum Scharfmacher der Föderalisten gebracht hatte, nannte Sue einen »Elfenbeinturm-Atheisten«, den man dringend »von der öffentlichen Brust entwöhnen« müsse.)
    Sie war natürlich viel zu wertvoll, um sie kaltzustellen. Doch sie war nicht länger die zentrale Figur in der Koordination der Chronolithen-Forschung. Man hielt sie aus der öffentlichen Kritik heraus. Sie blieb die Koryphäe für die abgehobenen Kuriosa der Tau-Turbulenz, war aber längst nicht mehr das Aushängeschild der Nation.
    Das Gute daran war, dass so ein kleiner Fisch wie ich nicht mehr im Fadenkreuz des FBI stand, auch wenn meine Akte immer noch in den digitalen Katakomben des Hoover-Gebäudes vor sich hin schmachtete.
    Morris Torrance hatte beim FBI gekündigt, er hatte nicht warten wollen, bis man ihn mit einer neuen Aufgabe betraute. Morris war ein gläubiger Mensch. Er glaubte an die Göttlichkeit von Jesus Christus, die Redlichkeit von Sulamith Chopra und die Wahrhaftigkeit seiner Träume. Die Epoche der Chronolithen hatte solche Wandlungen möglich gemacht. Ich glaube, er war auch ein bisschen verliebt in Sue, wiewohl er sich (anders als Ray Mosely) nie irgendwelchen Illusionen über ihre Sexualität hingab. Er blieb ihr Leibwächter und Security-Chef, auch wenn sein Gehalt nur noch ein Bruchteil von dem gewesen sein dürfte, was ihm die Regierung gezahlt hatte.
    Sue und Morris wollten mich nach wie vor am Projekt beteiligen – Sue, weil ich genau in ihr evolvierendes Muster signifikanter Zufälligkeit passte; und Morris, weil er glaubte, ich sei wichtig für Sue. Inwieweit sie noch legale Hebel in Bewegung setzen konnten, um mich bei der Stange zu halten, war schwer zu sagen. Morris war jetzt Zivilist. Trotzdem, wenn ruchbar wurde, dass ich fort wollte, würde er sich an meine Fersen heften. Vielleicht würde er sogar ein paar Fäden ziehen, nur um mich vor Ort zu halten. Morris mochte mich auf seine verhaltene Art, doch seine Loyalität galt in erster Linie Sue.
    Sue war inzwischen damit beschäftigt, ihr zerschlagenes Chronolithen-Projekt als Internet-Zirkel Wiederaufleben zu lassen und alle Daten aufzugreifen, die das Verteidigungsministerium freigab, um sie in die Mathematik der Tau-Turbulenz zu füttern. Im Februar 2031 verlor sie die Mittel des Umweltministeriums und musste erneut um Unterstützung buhlen, derweil reichlich Geld in die Vorzeigeprojekte floss: in den Gammastrahlenlaser-Ringbeschleuniger in Stanford etwa und die Gruppe »Exotische Materie«, die außerhalb von Chicago arbeitete.
    Ich verbrachte den Vormittag damit, den Code zu bereinigen, den ich für Sue geschrieben hatte, eine kleine Routine, die in die Welt hinausgehen sollte, um Medienknoten nach relevanten Synchronizitäten abzusuchen, und zwar mit einem Substantive sortierenden Algorithmus, den Sue selbst ausgeheckt hatte. Morris tauchte immer mal wieder im Büro auf; er wirkte schmäler als früher. Auch älter. Aber so vergnügt wie immer.
    Sue war in ihrem eigenen Büro; ich unterbrach meine Arbeit und klopfte, um ihr zu sagen,

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