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Die Chronolithen

Die Chronolithen

Titel: Die Chronolithen Kostenlos Bücher Online Lesen
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keine Kinder haben, nicht auf natürlichem Wege, nicht ohne Leihmutter. Sie ist unfruchtbar.«
    Ashlee rückte von mir ab und starrte in die Nacht hinaus. Sie tastete auf dem Nachttisch nach einer Zigarette.
    »Das tut mir Leid«, sagte sie. Es klang nicht gerade überzeugend.
    »Sie lebt. Das ist die Hauptsache.«
    (Kait hatte geschwiegen, während der Arzt mich aufgeklärt hatte. Sie hatte mich ohne mit der Wimper zu zucken vom Bett aus beobachtet, hatte in meinem Gesicht lesen wollen, hatte wissen wollen, ob ich ihr meine Zuneigung entziehen und sie in diesem trostlos weißen Krankenhausbett wie Strandgut zurücklassen würde.)
    »Ich weiß, was in ihr vorgeht«, sagte Ashlee.
    »Du zitterst.«
    »Ich weiß, wie das ist, Scott; als Adam geboren war, hat man mir dasselbe gesagt. Es gab Komplikationen. Ich kann auch keine Kinder mehr haben.«
    Der Verkehr auf dem Highway nahm zu, wälzte Lichtbalken über den Rauputz der Zimmerdecke. Wir saßen im Dunkeln, besahen uns wie verwaiste Kinder und dann nahmen wir uns wieder in die Arme.
     
    Am Morgen darauf packten wir für die Rückfahrt nach Minneapolis. Als ich mich rasierte, verließ Ashlee kurz das Zimmer.
    Sie hat nicht geahnt, dass ich es bemerkte.
    Durchs Fenster sah ich sie den Parkplatz überqueren; sie wich der hinteren Stoßstange eines zurücksetzenden Vans aus (es war der Lieferwagen eines Floristen), fischte ein faltiges Knäuel aus ihrer Handtasche, küsste es und warf es in einen offenen Abfallcontainer.
    Im Laufe des Tages habe ich Ash diese Gefälligkeit vergolten: Ich rief Sue Chopra an und kündigte ihr meine Mitarbeit auf.

 
     
     

 
ACHTZEHN
     
     
    Die Zeit ist wie ein Pfeil, hatte Sue Chopra einmal erklärt. Sie fliegt in eine Richtung. Bringt man Feuer und Brennholz zusammen, ist Asche das Resultat. Bringt man Feuer und Asche zusammen, ist aber nicht Brennholz das Resultat.
    Auch die Moral ist wie ein Pfeil. Lässt man zum Beispiel einen Film über den Zweiten Weltkrieg rückwärts laufen, stellt man sie auf den Kopf. Die Alliierten unterzeichnen ein Friedensabkommen mit Japan und bombardieren gleich darauf Hiroshima und Nagasaki. Nazis ziehen Geschosse aus den Köpfen ausgemergelter Juden, die man hernach wieder gesund pflegt.
    Das Problem bei der Tau-Turbulenz, sagte Sue, sei nun, dass sie solche Paradoxa unter die alltägliche Erfahrung mische.
    In der Nachbarschaft eines Chronolithen könnte ein Heiliger zum Mörder und ein Sünder zum Wohltäter werden.
    Sieben Jahre nach Portillo und Dank der Tatsache, dass das Militär den gesamten Ausstoß der Kommunikations- und Computerindustrie an sich riss, brachte ein gebrauchtes Prozessorsubstrat von guter Volksqualität auf dem offenen Markt locker seine zweihundert Dollar. Ein Strat-Board von Marquis Instruments, Baujahr 2025, steckte seine modernen Gegenstücke an Schnelligkeit und Zuverlässigkeit in die Tasche; Unze für Unze war es mehr wert als Gold. Fünf davon hatte ich im Kofferraum meines Wagens.
    Ich kutschierte mich, meine Strat-Boards und meine Kollektion an überschüssigen Steckverbindungen, Bildschirmen, Parabolantennen, Codems und Außenzubehör zum freien Markt in der Nicollet Mall. Es war ein strahlender, heiterer Sommermorgen und selbst die leeren Fenster des Halprin Tower – eine Bauruine, seit die Finanzierung letzten Januar geplatzt war – hatten etwas Fröhliches da oben in ihren luftigen und relativ sauberen Gefilden.
    An meinem angestammten Platz am Springbrunnen hatte ein Obdachloser seine Decke ausgerollt, räumte aber anstandslos das Feld. Er kannte die Regeln. Die Standplätze wurden eifersüchtig gehütet, ältere Rechte peinlich respektiert. Viele der Nicollet-Händler waren schon seit Beginn der Rezession hier, als die Ortspolizei bereits dafür bekannt war, das Hausierverbot mit Waffengewalt durchzusetzen. Not schweißt zusammen. Wir Händler kannten einander und, obwohl Konflikte nicht gerade etwas Ungewöhnliches waren, respektierten und verteidigten in der Regel den Standplatz des anderen. Alte Veteranen behaupteten die besten Plätze; Anfänger mussten sehen, wo sie blieben, und nicht selten Monate oder Jahre auf eine Vakanz warten.
    Ich rangierte irgendwo zwischen den Veteranen und den Anfängern. Der Platz mit dem Springbrunnen lag abseits der Hauptpassagen, war aber so groß, dass ich keinen Handkarren brauchte: Ich konnte vor Ort parken, um Klapptisch und Ware auszuladen… immer vorausgesetzt, dass ich früh genug kam und meinen Stand aufbaute,

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