Die Chronolithen
Ashlee war schon wach, rieb Kaitlins Hände. Was mich beunruhigte, doch Ashlee sagte sofort: »Es geht ihr gut. Sie atmet.«
Nachdem das Schlimmste vorüber gewesen war, hatte Hitch Paley mich in den Wagen geschleppt. Im Augenblick war er draußen und schraubte den Auslass wieder zu. Er kam hoch, spähte durch das beschlagene Seitenfenster und machte die Faust mit dem aufrechten Daumen, als er sah, dass ich aufgewacht war.
»Ich glaube, wir haben es geschafft«, sagte Ashlee heiser. Auch mir tat das Schlucken weh, ein bisschen auch das Atmen, fraglos eine Folge der kurzzeitig unterkühlten Luft, die wir geatmet hatten. Finger- und Zehenspitzen waren immer noch gefühllos. Ein bisschen geronnenes Blut in der rechten Handfläche, wo der frostige Schraubenschlüssel eine Hautschicht mitgenommen hatte. Aber Ashlee hatte Recht. Wir hatten es überstanden.
Kait stöhnte wieder. »Wir müssen sie gut verpackt halten«, sagte Ash. »Sie ist krank, Scott. Hoffentlich hat sie sich keine Lungenentzündung geholt.«
»Sie muss zurück in die Zivilisation.« Und vor allem wieder die Böschung hoch. Eine brenzlige Sache.
Als ich mich dazu imstande fühlte, öffnete ich die Fahrertür und kletterte ins Freie. Die Luft war wieder relativ warm und erstaunlich frisch, abgesehen von einem Staubschleier, der sich wie Puderschnee auf alles herabsenkte. Ein ganz normaler Westwind hatte den Eisnebel vertrieben.
Der Frost auf Steinen und Sand des Bachbetts verdampfte. Ich klomm die Böschung hinauf und blickte in Richtung Portillo – es war nicht viel davon übrig geblieben.
Das Monument war noch von Eis ummantelt, doch es war riesig. Der Kuin von Portillo stand aufrecht, den einen Arm erhoben, als wolle er die Menschen herbeiwinken.
Zu seinen überdimensionalen Füßen lag das Städtchen, verschwommen im Nebel, aber offensichtlich verwüstet.
Der Radius des thermischen Schocks war gewaltig. Danach zu urteilen konnte nur eine Hand voll Hadschisten überlebt haben. Am Rand des Städtchens bewegten sich einige Fahrzeuge, vermutlich mobile Rotkreuzstationen.
Ashlee kam keuchend aus dem Bachbett geklettert. Ihr Atem stockte, als sie das Ausmaß der Zerstörung sah. Ihre Lippen bebten. Das Gesicht war braun vom Staub, Tränen hinterließen ihre Spur.
»Vielleicht ist er davongekommen«, flüsterte sie und meinte niemand anderen als Adam.
Ich pflichtete ihr bei.
Teilen konnte ich ihre Hoffnung nicht.
SIEBZEHN
Auf ungeteerten Straßen und Viehtrieben gelang es uns, die dampfenden Ruinen von Portillo zu umgehen und zur Hauptstraße zurückzufinden.
Die Toten – es mussten sehr viele sein – blieben in Portillo zurück. Wir kamen an kleinen Trupps von Flüchtlingen vorbei. Viele hinkten, weil sie Erfrierungen davongetragen hatten. Manche waren durch die Eiskristalle erblindet, andere durch stürzendes Mauerwerk oder andere Auswirkungen der Schockwelle verletzt. Sie kannten keine Angst mehr, und Ashlee bestand zweimal darauf, anzuhalten und unsere wenigen Decken und ein paar Rationen zu verteilen. Und nach Adam zu fragen.
Doch keiner von den jungen Leuten kannte ihn oder hatte von ihm gehört, sie hatten dringendere Sorgen. Sie baten uns, Nachrichten zu übermitteln, Eltern oder Freunde oder ihre Familie in L.A., in Dallas oder in Seattle anzurufen… Die Parade des Elends war unerträglich und schließlich musste auch Ashlee sich abwenden, obschon sie nicht aufhörte, die Hadschisten nach Adam abzusuchen, bis wir schließlich so weit nordwärts waren, dass wir auch den gesündesten Flüchtling überholt haben mussten. Kolonnen von Versorgungstrucks und Militärambulanzen, die in Richtung Portillo brausten, konnten zwar ihr Gewissen beruhigen, aber nicht ihre Ängste. Sie sank in sich zusammen und rührte sich nur noch, wenn Kait es erforderlich machte.
Meine Angst um Kait wurde im Laufe der Fahrt größer. Der Infekt war schlimmer, als ich gedacht hatte, und der thermische Schock hatte alles noch schlimmer gemacht. Ashlee benutzte den Fiebermesser aus der Autoapotheke, runzelte beim Ablesen die Stirn und ließ Kait zwei fiebersenkende Kapseln mit viel Wasser schlucken. Wir mussten mehrmals anhalten, damit Kaitlin loshoppeln konnte, um in einiger Entfernung ihren Darm zu entleeren, und jedes Mal, wenn sie zurückgestolpert kam, war sie sichtlich geschwächt und unsäglich gedemütigt.
Wir mussten sie unbedingt in ein anständiges Krankenhaus bringen. Hitch meldete ein Gespräch mit Sue Chopra an und versicherte ihr,
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