Die Chronolithen
Der Kontrast war offenkundig: Kuin hatte die Zeit besiegt, und uns das Wasser.
Vor sieben Jahren hätte ich mir nicht träumen lassen, einmal ein Schrotthändler von Gottes Gnaden zu werden. Heute zählte ich mich zu den Privilegierten. Normalerweise verdiente ich jeden Monat genug, um Miete und Essen zu finanzieren. Was man von einem Großteil der Menschen nicht sagen konnte. Viele waren auf Stütze und Suppenküchen angewiesen, eine dankbare Reserve für die Pro- und Anti-K-Milizen.
Ich versuchte, Janice vom Auto aus anzurufen. Nach ein paar Fehlstarts bekam ich eine Verbindung, sie war aber so mickrig, dass Janice sich anhörte, als schreie sie durch eine Rolle Toilettenpapier. Ich sagte ihr, wir wollten Kait und David zum Dinner einladen, ins Restaurant.
»Es ist Davids letzte Nacht«, sagte Janice.
»Ich weiß. Deshalb wollen wir die beiden ja treffen. Ich hätte früher angerufen, aber ich wusste nicht, ob ich rechtzeitig fertig werden würde.« Oder ob ich mir, wenn überhaupt, eine Einladung zu uns nach Hause leisten konnte, was ich aber für mich behielt. Diesen kleinen Luxus hatten die Marquis-Boards ermöglicht.
»In Ordnung«, sagte sie, »aber bring sie nicht zu spät zurück. David muss morgen in aller Herrgottsfrühe raus.«
Im Juni hatte David seinen Einberufungsbescheid bekommen und musste zur Grundausbildung nach Arkansas, in ein Lager der Vereinigten Streitkräfte. Er und Kaitlin waren gerade mal sechs Monate verheiratet gewesen, aber das scherte die Musterungskommission nicht. Die Chinesische Intervention verschlang Bodentruppen, die in Schiffsladungen gezählt wurden.
»Richte Kait aus, ich wär um fünf da«, sagte ich, als die Verbindung prasselte, um sich gleich darauf in Wohlgefallen aufzulösen. Ich rief Ashlee an und sagte ihr, wir hätten Gäste zum Dinner. Ich bot mich an, die Einkäufe zu machen.
»Ich wünschte, wir könnten uns Fleisch leisten«, sagte sie sehnsüchtig.
»Können wir.«
»Du machst Witze. Doch nicht die Strat-Boards?«
»Erraten.«
Sie hielt inne. »Scott, es gibt so viel, wofür wir das Geld brauchen könnten.«
Ja, gab es, aber ich war nun einmal entschlossen, zum Metzger zu gehen und vier kleine Lendensteaks zu kaufen. Und beim Lebensmittelhändler kaufte ich Basmati-Reis und frischen Stangenspargel und richtige Butter. Damit das Leben sich lohnt, muss man gelegentlich leben, oder?
Kait und David hatten sich in einem ehemaligen Lagerraum über Whits Garage eingerichtet. So schlimm es sich anhört, sie hatten aus einer kalten Spitzdachmansarde ein verhältnismäßig warmes und gemütliches Nest gemacht, möbliert mit Whits ausrangiertem Sofa und einem großen schmiedeeisernen Bett, das David von seinen Eltern geerbt hatte.
Die Mansarde erlaubte ihnen außerdem ein bisschen Distanz zu Whit, auf dessen Großzügigkeit sie natürlich angewiesen waren. Whit war ein ehrbarer Copperhead und lehnte Straßenkämpfe ab; nahm aber seine Politik ernst und ergriff, wann immer die Unterhaltung erlahmte, das Wort zu einer kleinen versöhnlichen Predigt.
Ich holte Kait und David ab. Auf der Fahrt zu dem kleinen Apartment, das ich mir mit Ashlee teilte, war Kait still, machte eine tapfere Miene, hatte aber unverkennbar Angst um ihren Mann. David versuchte, die Schatten zu verscheuchen, indem er über die Nachrichten plapperte (die Schlappe der Föderalisten, die Kämpfe in San Salvador), doch nach seiner Stimme und seiner Gestik zu urteilen, war er nicht minder nervös. Mit Recht. Keinem von uns kam das Wort China über die Lippen.
Im letzten Jahr hatte Kait mir den Jungen vorgestellt und David Courtney hatte keinen besonderen Eindruck auf mich gemacht. Was sich dann ins Gegenteil verkehrte. Er war erst zwanzig und zeigte jenen Gleichmut (oder »Gefühlsmangel«, wie die Psychologen sagen), der typisch ist für diese Generation, die im Schatten Kuins aufgewachsen ist. Unter der Oberfläche allerdings erwies David sich als der warmherzige und rücksichtsvolle junge Mann, dessen Zuneigung zu Kait außer Frage stand.
Er war nicht besonders hübsch – in den Lowertown-Bränden von 2028 hatte er sich eine Narbe im Gesicht zugezogen – und Geld oder gute Beziehungen hatte er auch nicht. Aber Arbeit hatte er gehabt, bis zur Einberufung: Er fuhr eine Laderampe im Flughafen und er war aufgeweckt und vielseitig, wichtige Eigenschaften in diesen dunklen Zeiten eines dunklen Jahrhunderts.
Die Hochzeit war winzig gewesen, bezuschusst von Whit und vollzogen in einer
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