Die Clans des Alpha-Mondes: Roman
alles vergessen, was sie hier gesehen hatte.
Und die Vorstellung, an diesen Leuten eine Psychotherapie vorzunehmen…
Sie schüttelte sich. Hier würden selbst Drogentherapien und Elektroschocks wenig nützen. Hier befanden sie sich am Arsch der geistigen Krankheit; es war der Punkt, von dem es keine Rückkehr mehr gab.
Neben ihr sagte Dan Mageboom, der junge CIA-Agent: »Dann lautet Ihre Diagnose also auf Hebephrenie? Kann ich das offiziell weitergeben?« Er nahm ihren Arm und half ihr über die Reste eines großen tierischen Kadavers hinweg, dessen Rippen in der mittäglichen Sonne wie die Zinken einer Riesengabel in die Luft ragten.
»Ja«, sagte Mary, »es ist ganz klar. Haben Sie die Reste der toten Ratte gesehen, die auf dem Hüttenboden verstreut waren? Mir ist schlecht; mir ist richtig übel geworden. In solchen Verhältnissen lebt heutzutage kein Mensch mehr, nicht mal in Indien oder China. Es ist wie eine Reise in die Zeit, die einen viertausend Jahre zurückbringt: Der Sinanthropus und der Neanderthaler haben wahrscheinlich so gelebt. Allerdings ohne die rostigen Maschinen.«
»Im Schiff«, sagte Mageboom, »können wir einen Schluck trinken.«
»Auch ein Drink wird mir nicht helfen«, sagte Mary. »Wissen Sie, woran mich dieser ekelhafte Ort erinnert? An das abscheuliche alte Silo, in das mein Mann gezogen ist, nachdem wir uns trennten.«
Mageboom zuckte neben ihr zusammen und blinzelte.
»Sie wissen doch, daß ich verheiratet war«, sagte Mary. »Ich habe es Ihnen doch erzählt.« Sie fragte sich, wieso ihre Bemerkung ihn so überraschte; während der Reise hatte sie ihre ehelichen Probleme freimütig mit ihm diskutiert, und er hatte sich als ausgezeichneter Zuhörer erwiesen.
»Ich kann nicht glauben, daß Ihr Vergleich stimmt«, sagte Mageboom. »Die hiesigen Umstände sind Symptome einer Gruppenpsychose. Ihr Gatte hat nie so gelebt – er war doch geistig nicht in Unordnung.« Er sah sie an.
Mary blieb stehen und sagte: »Woher wissen Sie das? Sie haben ihn doch nie gesehen. Chuck war – und ist – krank. Es stimmt, was ich sage; er hat einen leichten Anflug von Hebephrenie… Er hat sich stets vor sozio-sexuellen Verpflichtungen gedrückt. Ich habe Ihnen doch all meine Versuche geschildert, ihn dazu zu bewegen, sich eine Stellung zu suchen, die ihm ein gerechtes Einkommen sichert.« Aber natürlich war Mageboom selbst ein Angestellter des CIA; schon aus diesem Grund konnte sie von ihm in dieser Hinsicht keine Sympathie erwarten. Vielleicht war es besser, das ganze Thema fallenzulassen. Die Sachlage war deprimierend genug, da brauchte sie nicht auch noch ihr Leben mit Chuck wiederzukäuen.
Rechts und links von ihnen gafften die Hebs – so nannten sie sich, ohne zu ahnen, daß das Wort von der Diagnose Hebephrenie abgeleitet war – sie mit nichtssagender Blödheit an und grinsten verständnislos. Sie zeigten nicht einmal echte Neugier. Ein weißer Ziegenbock wanderte vor ihnen her. Mary und Dan Mageboom blieben, da keiner von ihnen Erfahrung mit Ziegenböcken hatte, unsicher stehen, bis das Tier weiterging.
Wenigstens, dachte Mary, sind die Leute harmlos. Hebephreniker waren zwar in sämtlichen Stadien der Verfalls unfähig, Aggressionen auszuleben, aber es gab noch andere, weitaus bedenklichere Verwirrtheitssyndrome, auf die man achten mußte. Es war unausweichlich, daß sie sich in Kürze allmählich zeigten. Sie dachte besonders an die Manisch-Depressiven, die in der manischen Phase ziemlich destruktiv werden konnten.
Doch es gab sogar noch eine düsterere Kategorie, gegen die selbst sie sich stählte. Die Destruktivität der Manischen war auf einen Impuls begrenzt; im schlimmsten Fall wies er einen kollerartigen Aspekt auf, der zu zeitweiligen Zerstörungsorgien und zu Gewalt führte, bis er schließlich wieder abflaute. Bei einem schlauen Paranoiker konnte man jedoch mit systematischer und permanenter Feindseligkeit rechnen; sie würden sich im Lauf der Zeit nicht abschwächen, sondern – im Gegen teil – noch schlimmer werden. Der Charakter eines Paranoikers war analytisch und berechnend; er hatte gute Gründe für seine Handlungen und paßte jeden Schritt der Intrige an. Die Feindseligkeit des Paranoikers war vielleicht weniger auffallend gewalttätig… aber auf lange Sicht warf ihre Beständigkeit, soweit es die Therapie betraf, tiefere Implikationen auf. Denn für fortgeschrittene Paranoide war Heilung – oder auch nur temporäre Selbsterkenntnis – praktisch unmöglich.
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